Sünden der Faulheit, Die
dieses Vergnügen gebracht, zur Erleichterung ihrer Eltern und der Stadtverwaltung Amsterdams.
Vor dem Hintereingang des Hotels »Middelburg« stritten grauschwarze Möwen kreischend um die Küchenabfälle. Die größte hackte rabiat mit ihrem gebogenen Schnabel nach allen, die ihr zu nahe kamen.
Das »Middelburg« war ein Hotel der oberen Mittelklasse; es lag in der Nähe des Leidseplein unauffällig in einer Seitenstraße. Links und rechts des Eingangs standen im Sommer zwei Lorbeerbäume, die nun jedoch ihren Platz in der kleinen Hotelhalle neben dem Lift hatten. Es war die Aufgabe der Pagen – in abgetönten grünen Uniformen –, sie zu pflegen, zu wässern, vergilbte Blätter abzupflücken und abzustauben. Alle drückten sich davor und mußten ständig vom Portier, der die Pflanzen vor seinem Dienstbeginn aus Pedanterie und Schikane kontrollierte, dazu angehalten werden, obwohl keiner der Pagen sagen konnte, warum ausgerechnet diese Arbeit so verhaßt war.
Auf dem Hof hackte und zog die größte Möwe an einem trockenen Stück Braten. Der Rest des Schwarms hüpfte um sie herum, doch nur zwei junge Vögel versuchten noch einmal, ihr den Fraß streitig zu machen, was der eine mit einer Fleischwunde im Flügel bezahlte.
Im Speisesaal des Hotels wurde das Frühstücksgeschirr abgeräumt, in der Wäschekammer sortierten die Zimmermädchen Laken, Kopfkissen und Handtücher, und in der Küche putzten die Köche das Gemüse.
Der Portier, er hieß Bloemendaal, ordnete Meldezettel und dachte an das in seiner Garage aufgebockte Segelboot, das er am Wochenende neu lackieren wollte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Pagen, wie sie lustlos die Pflanzen abstaubten, und überlegte, wie er sie für den Rest des Vormittags beschäftigen könnte. Es war halb elf, als der Wecker seiner Digitaluhr piepte. Bloemendaal hatte ihn am Morgen programmiert, weil er persönlich den Gast auf Zimmer 36 wecken wollte. Er wählte auf dem Haustelefon die Nummer.
Wilhelm Mertens träumte, der Blitz habe in den Baum eingeschlagen, unter dem er vor dem Gewitter Schutz gesucht hatte. Er zuckte zusammen. Da schlug noch ein Blitz ein und noch einer. Mertens saß aufrecht im Bett und wußte im ersten Augenblick nicht, wo er war. Er drehte aufgeregt den Kopf, bis er verstand, daß das Telefon läutete.
»Mertens!«
»Herr Mertens, guten Tag. Es ist 10 Uhr 30 . Sie wollten geweckt werden.«
»Jaja, danke.« Er konnte sich nicht erinnern, dem Nachtportier eine Nachricht hinterlassen zu haben.
»Wie spät ist es bitte?«
»Es ist exakt 10 Uhr 30 . Hier spricht der Portier, Bloemendaal.«
Mertens fuhr durch seine zerzausten, schütteren blonden Haare. »Danke, Mijnheer Bloemendaal. Halb elf schon? Könnten Sie mir einen doppelten Espresso aufs Zimmer bringen?«
»Selbstverständlich!«
»Und eine Packung Marlboro.« Instinktiv fiel ihm wieder ein, daß er gestern nacht, oder besser heute morgen, nach einer Zigarette gesucht hatte, die er vor dem Einschlafen rauchen wollte.
»Marlboro und Espresso, sofort, goedendag.« Bloemendaal spekulierte auf das Trinkgeld, das Mertens gab, wenn er im »Middelburg« wohnte.
Der Mann in Zimmer 36 setzte sich auf die Bettkante und stützte den Kopf in die Hände. Er hatte Steenbergen noch etwas zu sagen. Er taperte ins Bad.
Bloemendaal rief Kees zu sich, einen hochaufgeschossenen 16 jährigen Jungen, der mit einer Gießkanne bei den Lorbeerbäumen stand.
»Einen doppelten Espresso und eine Marlboro auf 36 . Und das hier, warte.« Er holte aus einer Schublade in der Rezeption zwei Alka-Seltzer und reichte sie Kees, der ihn sehr an seinen Sohn erinnerte. »Mit einem Glas Mineralwasser«, sagte Bloemendaal, der wußte, was das »Middelburg« seinen Stammkunden schuldig war.
Wilhelm Mertens rasierte sich, als es klopfte und der Page in seiner grünen Livree mit einem Tablett eintrat. Kees stellte das Tablett auf einem Tisch ab und wartete. Er ließ seine Arme hängen, und jetzt sah man, daß die Jacke eine Nummer zu klein war. Mertens kam mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Bad und drückte zwei Gulden in Kees’ Hand, der sich mit einem Diener schlaksig bedankte.
Als Mertens das Alka-Seltzer sah, lobte er Bloemendaal still für dessen Weitsicht, obwohl er annehmen konnte, daß der Nachtportier auf einem Zettel vermerkt hatte, in welchem Zustand sich Zimmer 36 im Morgengrauen befand. Er zuckerte den Espresso, zündete eine Zigarette an und löste die Tabletten auf.
Gestern abend war
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