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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Tränen rollten ihr übers Gesicht.
    »Um Gott brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Er
    kann’s vertragen.«
    Er wischte ihr behutsam mit dem Daumen eine Träne vom
    Gesicht.
    Jetzt erst merkte Hannah, daß er keine Handschuhe trug. Sein Daumen war kalt auf ihrer Haut. Pater Tom, der ewig Zerstreute.
    Er vergaß ständig irgendwelche Nebensächlichkeiten wie Handschuhe bei eisigem Wetter anzuziehen, Mahlzeiten zu sich zu nehmen und sich die Haare schneiden zu lassen. Diese Angewohnheit weckte bei sämtlichen Frauen der Pfarrei St.
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    Elysius mütterliche Gefühle.
    »Sie haben wieder Ihre Handschuhe vergessen«, sie nahm seine Hand und wärmte sie zwischen den ihren. »Die Finger werden Ihnen noch mal abfrieren.«
    Ihre Besorgnis war ihm gar nicht recht. »Ich hab Wichtigeres im Kopf. Ich wollte Sie wissen lassen, daß ich für Sie da bin –
    für Sie und Paul.«
    »Danke.«
    »Ich habe eine Gebetswache für Josh organisiert. Heute abend um acht. Hoffentlich brauchen wir sie bis dahin nicht mehr«, fügte er hinzu und drückte ihre Schulter.
    »Hoffe ich auch«, flüsterte Hannah. Sie konnte ihm nicht sagen, daß sie das dumpfe Gefühl hatte, ihre Gebete zu vergeuden, daß sie nur in ihrem Kopf herumpolterten. Sie klammerte sich noch eine Sekunde länger an seine Hand und versuchte wie eine Ertrinkende etwas von seiner Stärke und seiner Zuversicht aufzunehmen.
    »Möchten Sie zum Abendessen bleiben?« fragte sie, nachdem sie die Reste ihrer guten Manieren zusammengerafft hatte, die aber gleich wieder von Flehen und Ehrlichkeit verdrängt wurden. »Ich habe ein Haus voller Frauen, denen nichts einfällt, außer mich anzustarren und ihrem Gott zu danken, daß sie nicht in meiner Haut stecken«, vertraute sie ihm an. »Es wäre schön, wenn es eine Abwechslung gäbe. Auf der Speisekarte haben wir eine Variation der wunderbaren Fleisch- und Brotvermehrung –
    das Wunder der Thunfischaufläufe.
    Ich glaube, es gibt keine einzige Dose Thunfisch mehr in der Stadt.«
    »Hat Ann Mueller den mit den gebratenen Zwiebeln obendrauf gebracht?« fragte er und schnitt ein Gesicht, um ihr endlich etwas anderes zu bieten als Mitleid.
    »Und ein Blech Brownies mit Crème de Menthe.«
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    Er grinste, legte einen Arm um ihre Schulter und dirigierte sie zur Küchentür. »Dann bin ich ganz der Ihre, Dr. Garrison.«
    17 Uhr 28, -8 Grad
    Mitch ging alleine durch die Eingangshalle der Volksschule von Deer Lake. Megan hatte sich durch seine Hänselei nicht beirren lassen und war mit zwei Beamten losgezogen zu Runde zwei der Befragung von Joshs Hockeykumpeln und den Trainern der Jugendmannschaften.
    Hatten Sie überhaupt jemanden gesehen? Hätte Josh ihnen erzählt, daß er vor jemandem Angst hätte. Hatte er sich ungewohnt verhalten? Die Fragen würden immer wieder gestellt werden, von diesem, jenem, dem nächsten Cop, und jeder hoffte eine Erinnerung auszulösen. Alle hofften auf irgendeine noch so kleine Information, die vielleicht für sich gesehen unbedeutend war, aber mit einem anderen Detail zusammengesehen eine Spur ergeben könnte. Die Befragten fanden es vielleicht lästig, und es schuf natürlich Berge von Papierkram, aber war unumgänglich.
    Mitch hatte sich dafür entschieden, zum selben Zweck die Schullehrer und anderes Schulpersonal zu befragen. Einer seiner Männer hatte bereits Sara Richman vernommen, Joshs Lehrerin.
    Mitch versammelte das gesamte Personal in der Cafeteria und gestaltete die Befragung als lockere Frage-und-Antwort-Session.
    Er erzählte ihnen das bißchen, was er wußte, versuchte die Flut wilder Gerüchte einzudämmen, fragte sie, ob sie irgendwelche Hinweise hätten. Hatte sich jemand in der Umgebung der Schule rumgetrieben? Hatte irgendeines der Kinder erzählt, es wäre von einem Fremden angesprochen worden?
    Mitch studierte die Gesichter im Raum – die Lehrer, Köche, Hausmeister, Bürokräfte – und fragte sich, als Cop, ob einer von ihnen das getan haben könnte; fragte sich als Vater, ob irgendeiner der Menschen, die tagtäglich Kontakt mit seiner 183
    Tochter hatten, eine Gefahr für sie sein könnte.
    Nach fast zwei Stunden überließ er sie ihrer Diskussion von Plänen zu einer Sicherheitsversammlung der gesamten Schule und ging den langen Korridor entlang zum Seiteneingang. Sein Kopf fühlte sich an wie eine Nuß im Nußknacker. Fragen durchschwirrten sein Hirn, Fragen ohne Antwort. Er hatte um sechs Uhr sein eigenes Personaltreffen, um mit seinen Männern zu besprechen, was der Tag

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