Sünden der Nacht
würdest mich mit ihm reden lassen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Schlachten schlage ich selbst.« »Das nennt man Unterstützung eines Freundes, Megan.«
Sie drehte sich um, legte den Kopf zurück und sah hoch zu ihm. Er war ihr wieder zu nahe, versuchte sie einzuschüchtern, machte sie darauf aufmerksam, daß er größer und stärker war und fähig, sie zu beherrschen – oder zu beschützen. Ein Teil von ihr fand die Vorstellung verlockend, aber diesem Teil würde sie sich nicht unterwerfen. »Man nennt das falsche Informationen geben, und das hab ich hiermit getan«, sagte sie. »Ich werde nicht zulassen, daß du meinetwegen lügst, basta.«
Ihre Antwort duldete keinen Widerspruch. Mitch sagte nichts, während er zusah, wie sie sich den riesigen Daunenmantel überstreifte. So verdammt dickköpfig. So verdammt unabhängig. Er wollte, daß sie sich an ihn lehnte, stellte er zu seinem Erstaunen fest. Er wollte ihr helfen, ihre Ehre verteidigen. Altmodische Vorstellungen, und sie war keine altmodische Frau – Vorstellungen, die nach Verpflichtung rochen, etwas, was sie angeblich beide nicht wollten! »Wir werden damit fertig«, murmelte er, war sich aber nicht sicher, welchen Aspekt dieser verworrenen Geschichte er damit meinte. Womit? hätte Megan am liebsten gefragt, der beruflichen oder ihrer persönlichen Situation? Sie entschied sich für das erstere; darauf sollten sie sich konzentrieren, die verdammte Uhr würde nicht aufhören zu ticken.
»Für uns heißt das«, faßte sie kurzangebunden zusammen, »wir finden Josh.«
Kapitel 27
TAG 8 17 Uhr 39, -33 Grad, Windabkühlungsfaktor: -43 Grad
Hannah stand am Fenster und starrte hinaus auf den See. Die letzten Strahlen Sonnenlicht breiteten sich brandrot über den Horizont. Komisch, daß ein so kalter Himmel eine so heiße Farbe darbot. Während sie da stand, spürte sie die Kälte durch das Glas kriechen, in ihren Körper eindringen. Sie wünschte, sie würde sie abstumpfen, aber das geschah nicht, sie ließ sie nur erschaudern.
Auf der anderen Seite des Sees tauchten Blinklichter auf. Die Hubschrauber waren nochmals angefordert worden. Einen konnte sie in der Ferne sehen, er hing wie ein Geier über Dinkytown. Sie erinnerte sich an das Knattern der Rotoren, wie sie wachgelegen und ihrem unheimlichen Flug hin und her über die Stadt gelauscht hatte. Hinter Dinkytown, draußen vor dem flammenden Horizont lag Ryan’s Bay. In der Ryan’s Bay hatte ein Hund Joshs Anorak, weggeworfen wie ein Stück Müll, entdeckt.
Sie sah das Kleidungsstück vor ihrem geistigen Auge – grellblau mit grünen und gelben Rändern. Sie kannte die Größe und den Markennamen, die Taschen, in denen er kleine Schätze, Kleenex und Fäustlinge bunkerte. Sie kannte den Geruch und wußte, wie es sich anfühlte. All diese Erinnerungen wurzelten tief in ihrem Bewußtsein, unberührbar, unantastbar. Schon der zweite Gegenstand von Josh, der innerhalb einer Woche von ihm aufgetaucht war, und man hatte ihr nicht erlaubt, ihn zu sehen oder zu berühren. Die Jacke ging sofort nach St. Paul, um studiert und analysiert zu werden. »Ich hätte sie so gerne nur ein wenig im Arm gehalten«, sagte sie leise. Sie stellte sich vor, wie das gewesen wäre, sie an ihr Gesicht zu heben, sie über ihre Wange streichen zu lassen.
»Tut mir leid, Hannah.« Megan appellierte an ihren Verstand: »Wir hielten es für unerläßlich, sie so schnell wie möglich ins Labor zu schaffen.«
»Natürlich versteh ich das«, murmelte sie. Aber das stimmte nicht, nicht außerhalb dieses logischen, realistischen Gehirnkomplexes, der routinemäßig reagierte.
»Glauben Sie, sie finden darauf Fingerabdrücke?« fragte Paul. Er saß neben dem Kamin, in einer ausgebleichten schwarzen Jogginghose und einem schweren grauen Sweatshirt mit dem Logo der Universität von Minnesota. Sein Haar war noch feucht von der Dusche, mit der er sich aufgewärmt hatte. Lily saß auf seinem Schoß und versuchte vergeblich, ihn für ihren Plüsch-Dino zu interessieren.
Megan und Mitch tauschten einen Blick.
Mitch verneinte. »Es ist praktisch unmöglich, auf Nylon Fingerabdrücke zu hinterlassen.«
»Was dann?«
»Willst du sie wirklich zwingen, es zu sagen?« erkundigte sich Hannah in scharfem Ton. »Was glaubst du denn, wonach sie suchen, Paul? Blut. Blut und Samen und irgendwelche andere gräßlichen Spuren von dem, was dieses Tier Josh angetan hat. Hab ich recht, Agent O’Malley?«
Megan sagte nichts. Die Frage war
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