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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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würden sie es vielleicht nie erfahren.

20 Uhr 41, – 5 Grad, Windabkühlungsfaktor: – 11 Grad
    Mitch fuhr zum zweiten Mal an diesem Abend vom City Center los. Der Adrenalinschub, den sein Körper ausgestoßen hatte, als er quer durch die Stadt nach St. Elysius raste, war längst verbraucht. Mit dem Tod von Albert Fletcher sackte er auf den absoluten Nullpunkt ab. Wenn Fletcher Josh entführt hatte, würden sie es von ihm nicht mehr erfahren; mit dieser Spur war es aus, egal ob Josh lebte oder nicht. Er wollte zuschlagen, mit aller Kraft. Oder von etwas Weichem
berührt werden. Als er das erste Mal zu Megan gegangen war, hatte sie die Hand nach ihm ausgestreckt und ihm seinen Schmerz genommen. Sie glaubte, sie bräuchte niemanden. War ihr denn nie der Gedanke gekommen, daß sie vielleicht gebraucht würde? Von jemandem wie ihm? Einem total fertigen, kaputten, ausgepowerten Cop?
    Er stellte den Explorer vor dem großen viktorianischen Haus an der Ivy Street ab, blieb sitzen und hörte zu, wie die Scheibenwischer hinund herschlugen. Der Schnee peitschte jetzt schnell und wütend vom Himmel. Nachdem der Sturm laut Vorhersage die ganze Nacht andauern würde, machten die städtischen Schneeräumer keine Anstalten, die Seitenstraßen zu räumen. Die Menschen hatten ihre Autos kreuz und quer abgestellt, welche zehn Zentimeter dicke Schneehauben trugen. Mit Ausnahme von Megans Wagen, der nirgendwo zu sehen war.
    In den Fenstern im zweiten Stock fehlte jegliches Licht. Die schwarze Katze saß am Vorderfenster, sichtbar vor dem Hintergrund heller Vorhänge, und hielt Ausschau nach ihrem Frauchen. Sie war scheinbar doch nach St. Paul gefahren. Mitch wußte nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Was, zum Teufel wollte er hier? Was hatte er vor – ihr sagen, daß Fletcher auf einem Marmorblock in Oglethorpes Beerdigungsinstitut lag und sie fragen, ob sie vielleicht um der alten Zeiten willen ihm eine Umarmung genehmigen würde, weil er sich völlig fertig und verloren fühlte? Sie würde ihre Glock ziehen und ihm eins zwischen die Augen verpassen.
    Das Handy in seiner Jackentasche trillerte. Mitch zog es leise fluchend heraus. »Was gibt’s?«
    Das Schweigen wurde von dünnem, zittrigem Keuchen unterbrochen. Mitchs Nackenhaare sträubten sich.
    »M-Mitch?«
    Sein Herz verklemmte sich in seiner Kehle. »Megan? Schätzchen! Was ist?«
    »H-Hol dir d-das Schwein …« Ein erstickter Schrei beendete den Satz.
    »Megan!« schrie Mitch und klammerte sich mit der freien Hand an das Steuerrad. »Megan!«
    Die Stimme, die jetzt durch die Leitung kam, war nicht die von Megan. Flüstersanft glitt sie wie ein Rasiermesser über seine Nervenspitzen. »Wir haben ein Geschenk für Sie, Chief. Kommen Sie zum Südwestzugang des Quarry Hills Park, in dreißig Minuten. Kommen Sie
allein. Keine Minute früher, oder mit Agent O’Malley wird es aus sein. Haben Sie das kapiert?«
    »Was wollen Sie?«
    Das unheimliche, atemlose Kichern kroch über seinen Rücken wie Skelettfinger. Er packte das Telefon fester und würgte an dem Kloß in seinem Hals.
    »Das Spiel gewinnen«, murmelte die Stimme. Dann war die Leitung tot.
     
    Megan versuchte sich zu sammeln so gut es ging, als sie hörte, wie er das Telefon weglegte. Er würde sie bestrafen. Das wußte sie. Er war ein Kontrollfreak, und sie hatte ein kleines Stück davon zerbrochen. Wenn sie Glück hatte, würde er toben und schreien, und sie könnte zumindest bezeugen, daß sie seine Stimme klar und deutlich gehört hatte. Wenn sie Pech hatte, würde er sie kaltmachen.
    »Wir dachten, du bist ein kluges Mädchen.« Seine Stimme wurde kein bißchen lauter, aber der Zorn war da, summte wie eine Stromleitung. »Wir dachten, du bist ein kluges Mädchen, aber du bist auch nur eins von diesen dämlichen Ludern!«
    Der Schlag traf sie seitlich am Kopf. Nicht der Knüppel, sondern sein Handrücken. So heftig, daß der Stuhl zur Seite schaukelte. Farben explodierten hinter ihren Augenlidern, und der Geschmack von Blut erfüllte frisch und klebrig ihren Mund. Bevor die Explosion verebbt war, knallte er seine Faust auf ihre verletzte Hand. Tränen schossen ihr in die Augen. So sehr es Megan auch haßte, so sehr sie es haßte, daß er sah, wie sie unter ihrer Augenbinde herausströmten, sie hatte keine Kraft, sie aufzuhalten. Trotzdem biß sie sich auf die Unterlippe und hielt den Atem an, um nicht laut aufzuschluchzen.
    Das wollte er mehr als alles andere: sie demütigen, auf jede nur

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