Sündige Rache
habe ich gewisse Standards, und von denen weiche ich nicht ab.«
»Niemand macht dir irgendwelche Vorhaltungen, Roarke. Ich brauche lediglich eine Vorstellung davon, was hier in diesem Laden läuft.«
»Es nervt dich, dass ich in die Sache involviert bin.«
Sie wartete einen Moment. Und als die Tür geöffnet wurde, um die Bahre mit dem toten Kohli aus dem Haus tragen zu können, drangen die Geräusche des anbrechenden Tages zu ihnen ins Lokal.
Der Verkehr nahm bereits merklich zu. Autos verstopften die Straßen, Flugzeuge den Himmel, und sie hörte, wie ein neugieriger Schwebegrillbetreiber von den Bahrenträgern wissen wollte: »Wer zum Teufel ist das?«
»Okay, es nervt mich, dass du in die Sache involviert bist. Aber ich werde mich damit arrangieren. Wann warst du zuletzt hier?«
»Vor zig Monaten. Der Laden lief gut, weshalb ich mich nicht persönlich darum kümmern musste.«
»Wer ist der Geschäftsführer?«
»Rue MacLean. Ich drucke dir gerne ihre Daten aus.«
»Und zwar so schnell wie möglich. Willst du dir den Laden jetzt genauer ansehen?«
»Das macht keinen großen Sinn, denn schließlich weiß ich kaum noch, wie er ausgesehen hat. Aber wenn ich meine Erinnerung aufgefrischt habe, lasst ihr mich hoffentlich noch mal herein.«
»Ich werde eine diesbezügliche Anweisung erteilen. Ja, Peabody?«, fragte sie, als ihre Assistentin zögernd näher kam.
»Entschuldigung, Madam, aber ich dachte, Sie wollten sicher wissen, dass ich die Vorgesetzte des Opfers erreicht habe. Sie schicken ein Mitglied seiner Einheit und einen psychologischen Beistand zu seinen nächsten Verwandten. Und sie wollen wissen, ob sie auf Sie warten sollen oder ob es in Ordnung ist, wenn sie schon mal allein zu seiner Witwe gehen.«
»Sagen Sie ihnen, sie sollen auf uns warten. Wir fahren sofort los und treffen sie dort vor der Tür. Ich muss gehen«, sagte sie zu Roarke.
»Ich beneide dich nicht um deinen Job, Lieutenant.« Weil er es selber brauchte, ergriff er ihre Hand. »Aber ich lasse dich am besten jetzt in Ruhe. Die gewünschten Informationen schicke ich dir so schnell wie möglich zu.«
»Roarke?«, rief sie ihm, als er sich zum Gehen wandte, hinterher. »Tut mir Leid, dass dein Laden nur noch ein Scherbenhaufen ist.«
»Holz und Glas. Das kann man ersetzen«, antwortete er und sah sie über die Schulter hinweg an.
»Das meint er nicht ernst«, murmelte Eve und schloss hinter ihm die Tür.
»Madam?«
»Sie haben ihm ans Bein gepinkelt. Das wird er sich nicht gefallen lassen.« Sie seufzte hörbar. »Kommen Sie, Peabody, fahren wir zu Kohlis Frau und bringen das Elend so rasch es geht hinter uns.«
Die Kohlis lebten in einem ordentlichen, mittelgroßen Gebäude in der East Side. Der Art von Gebäude, überlegte Eve, in der man überwiegend junge Familien und Pensionäre fand. Nicht schick genug für erfolgreiche Singles und nicht billig genug für Menschen ohne festes Gehalt.
Es war ein hübsches, ja sogar ein wenig elegantes, nach den Innerstädtischen Revolten wiederhergestelltes Mehrfamilienhaus.
Gesichert war die Tür durch einen schlichten Eingangscode.
Noch bevor Eve in der zweiten Reihe parkte und durch Einschalten des Blaulichts kenntlich machte, dass sie dienstlich hier war, hatte sie ihre Kollegen schon entdeckt.
Die Frau wirkte mit ihrem blonden, kinnlangen, glatt geföhnten Haar, ihrer Sonnenbrille und dem dezenten, marineblauen Kostüm durch und durch gepflegt. Ihre eleganten, hochhackigen Pumps verrieten, dass sie für gewöhnlich hinter einem Schreibtisch saß.
Sie war eindeutig ein ziemlich hohes Tier.
Der Mann hatte breite Schultern, einen leichten Bauchansatz und dichtes, graues Haar, das in der leichten Brise um sein ruhiges, gefasstes Gesicht zu tanzen schien. Seine Schuhe – echte Polizistenschuhe – hatten harte Sohlen und waren frisch geputzt, seine Jacke war ein bisschen zu eng, und die Ärmel fransten leicht aus.
Ein alter Hase, dachte Eve. Er hatte sich seinen jetzigen Bürojob eindeutig durch jahrelangen Einsatz auf der Straße schwer verdient.
»Lieutenant Dallas.« Die Frau trat auf sie zu, bot ihr jedoch nicht die Hand. »Ich habe Sie sofort erkannt. Sie sind ziemlich oft im Fernsehen.« Ihre Stimme hatte keinen vorwurfsvollen Klang, trotzdem aber war zu spüren, dass Eves Berühmtheit ihr missfiel. »Ich bin Captain Roth, vom hundertachtundzwanzigsten Revier. Das hier ist Sergeant Clooney. Er gehört zu meiner Truppe und ist als psychologischer Beistand hier.«
»Danke,
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