Sündige Seide: Roman (German Edition)
ist.«
Sie zeigte auf das blutdurchtränkte Bett nebenan und kreischte: »Es ist doch klar, was passiert ist.«
»Nicht immer.«
»Glauben Sie, wir hätten Jackson gestern nacht allein in die Suite gelassen, wenn wir gewußt hätten, daß jemand ihn umbringen will?«
»Sie beide haben Reverend Wilde gestern nacht allein gelassen? Wo waren Sie?« Cassidy ließ sich auf dem Rand des kleinen Zweisitzersofas neben ihrem nieder. Er sah sich die Frau und ihren Stiefsohn genau an. Beide schienen etwa Ende Zwanzig zu sein.
»Wir waren in meiner Suite und haben geübt«, antwortete Josh.
»Was geübt?«
»Mrs. Wilde singt in allen Kreuzzugsgottesdiensten und in den Fernsehsendungen«, erläuterte Glenn. »Mr. Wilde spielt das Klavier.«
Wie geschickt von Jackson Wilde, sein Missionsunternehmen als Familienbetrieb zu führen, dachte Cassidy. Er mochte Fernsehprediger nicht und hatte bislang nichts gesehen, was seine Vorurteile widerlegt hätte. »Wo ist Ihre Suite, Mr. Wilde?« fragte er.
»Am Ende des Gangs. Daddy hat alle Zimmer auf diesem Stockwerk reservieren lassen.«
»Warum?«
»Das machte er immer. Um unsere Privatsphäre zu wahren. Daddys Jünger nehmen fast alles auf sich, um in seiner Nähe zu sein. Er liebte die Menschen, aber zwischen den Gottesdiensten brauchte er Ruhe und Abgeschiedenheit. Er und Ariel wohnten in dieser Suite. Ich nahm die nächstgrößere, damit ein Klavier zum Üben aufgestellt werden konnte.«
Cassidy wandte sich an die frischgebackene Witwe.
»Diese Suite hat zwei Schlafzimmer. Warum haben Sie nicht bei Ihrem Mann geschlafen?«
Mrs. Wilde antwortete mit einem verächtlichen Schniefen. »Das hat er mich schon gefragt«, sagte sie und blickte wieder vernichtend zu Detective Glenn. »Ich bin gestern erst spätnachts ins Bett gegangen und wollte Jackson nicht stören. Er war erschöpft, deshalb habe ich im anderen Schlafzimmer geschlafen.«
»Wann war das?«
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.«
Cassidy sah Josh fragend an. »Wissen Sie noch, wann sie ihr Zimmer verlassen hat?«
»Leider nicht. Spät.«
»Nach Mitternacht?«
»Viel später.«
Fürs erste beließ Cassidy es dabei. »Haben Sie mit Ihrem Gatten gesprochen, als Sie in die Suite kamen, Mrs. Wilde?«
»Nein.«
»Sind Sie zu ihm gegangen und haben ihm einen Kuß gegeben?«
»Nein. Ich ging durch die Tür, die direkt vom Korridor in mein Zimmer führt. Ich hätte nach ihm sehen sollen«, schluchzte sie. »Aber ich dachte doch, er schläft friedlich.«
Cassidy warnte Glenn mit einem scharfen Blick vor dem naheliegenden Bonmot. Statt dessen sagte der Detective: »Leider hat Mrs. Wilde den Leichnam ihres Gatten erst heute morgen entdeckt.«
»Als er nicht auf seinen Weckruf reagierte«, bestätigte sie mit gebrochener Stimme. Sie nahm das durchnäßte Kleenex und drückte es sich unter die Nase. »Wenn ich mir vorstelle, daß er da drin war . . . tot . . . während ich nebenan geschlafen habe.«
Sie schloß die Augen und sank gegen ihren Stiefsohn. Er legte einen Arm um ihre Schultern und flüsterte leise in ihr Haar.
»Nun, das wäre vorerst alles.« Cassidy stand auf.
Glenn folgte ihm zur Tür. »Die Sache stinkt doch wie Fisch von letzter Woche.«
»Ach, ich weiß nicht», antwortete Cassidy. »Die Geschichte ist fast zu plump für eine Lüge.«
»Für mich ist die Sache klar. Sie sind heiß aufeinander und haben den Prediger abserviert, um freie Bahn zu haben.«
»Vielleicht«, meinte Cassidy unverbindlich. »Vielleicht auch nicht.«
Glenn musterte ihn kritisch und zündete sich eine Camel an. »Ein schlaues Kerlchen wie Sie fällt doch nicht auf so hübsche blaue Augen rein, oder, Cassidy? Und auf all das Geheule? Mann, bevor Sie aufgetaucht sind, haben sie laut gebetet.« Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. »Sie glauben doch nicht etwa, daß sie die Wahrheit sagen?«
»Aber natürlich glaube ich ihnen.« Als Cassidy aus der Tür trat, warf er einen Blick über die Schulter zurück und ergänzte: »Genausoweit, wie ich durch einen Hurrikan pissen kann.«
Er fuhr allein im Fahrstuhl nach unten und landete in einem Inferno. Die Lobby des Fairmont-Hotels erstreckte sich über einen ganzen Block. Normalerweise war sie mit ihren samtschwarzen Wänden, den roten Samtmöbeln und den Blattgoldakzenten ein Hort vornehmer Erhabenheit und des Luxus – das Fairmont war die große alte Dame unter den Hotels. Aber an diesem Morgen wimmelte es hier von verärgerten Menschen. Die Polizisten
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