Sündige Seide: Roman (German Edition)
verteidigen versuchte.
Sie hatte geglaubt, die Schmerzen der Vergangenheit wären so tief vergraben, daß sie nie wieder auftauchen könnten. Aber ein bösartiger Eindringling erweckte sie zu neuem Leben. Er bedrohte
alles, was sie liebte. Er drohte, ihr Leben zu zerstören.
Wenn sie nicht zu einschneidenden Maßnahmen griff und den Lauf der Ereignisse änderte, würde er alles zerstören, was sie sich aufgebaut hatte.
Kapitel 1
Der Reverend Jackson Wilde war in den Kopf, ins Herz und in die Hoden getroffen worden. Cassidy hielt das vom ersten Augenblick an für einen wichtigen Hinweis.
»Was für eine Sauerei.«
Die Leichenbeschauerin untertrieb, fand Cassidy. Er vermutete, daß der Mord mit einem aus nächster Nähe abgefeuerten kurzläufigen .38er Revolver begangen worden war. Hohlmantelgeschosse. Der Täter hatte es zweifellos darauf abgesehen, das Opfer zu zerfetzen. Gewebe war auf das Kopfbrett und die Laken gespritzt. Die Matratze hatte sich mit Blut vollgesogen, das sich unter dem Körper angesammelt hatte. Abgesehen von dem verheerenden Schaden, den die Kugeln angerichtet hatten, war das Opfer nicht mißhandelt oder verstümmelt worden. So grausig es auch aussah, Cassidy hatte schon Schlimmeres gesehen.
Das Unangenehmste an diesem Mord war die Identität des Opfers. Cassidy hatte die Sondermeldung in seinem Autoradio gehört, während er sich durch den morgendlichen Stoßverkehr gekämpft hatte. Er hatte augenblicklich und ohne Rücksicht auf die Verkehrsregeln gewendet, obwohl er kein Recht hatte, ohne offizielle Aufforderung am Tatort zu erscheinen. Die Polizisten, die das Fairmont-Hotel abgeriegelt hatten, hatten ihn erkannt und automatisch angenommen, daß er als offizieller Vertreter des Orleans Parish District Attorneys da war. Niemand hatte ihn davon abgehalten, die San-Louis-Suite im siebten Stock zu betreten, wo sich die Detektive gegenseitig auf die Füße traten und wahrscheinlich mehr Beweismaterial unbrauchbar machten, als sie fanden.
Cassidy wandte sich an die Leichenbeschauerin. »Was halten Sie davon, Elvie?«
Dr. Elvira Dupuis war ein stämmiges, grauhaariges Mannweib. Ihr Liebesleben gab ständig Anlaß zu neuen Gerüchten, allerdings besaß keiner der Zuträger Erfahrungen aus erster Hand. Sie wurde von wenigen gemocht, aber niemand zweifelte an ihrer Kompetenz.
Die Pathologin rückte die Brille zurecht und antwortete: »Ich vermute, daß ihn der Kopfschuß drangekriegt hat. Die Kugel hat das meiste von seiner grauen Hirnmasse zerstört. Die Brustwunde erscheint mir ein bißchen zu weit rechts, um durchs Herz zu gehen, aber ich kann sie erst als Todesursache ausschließen, wenn ich ihm die Brust aufgeknackt habe. Der Schuß in die Eier hätte ihn wahrscheinlich nicht umgebracht, jedenfalls nicht gleich.« Sie sah zu dem stellvertretenden Staatsanwalt auf und grinste schadenfroh. »Obwohl er ihm bestimmt ganz schön die Tour vermasselt hätte.«
Cassidy verzog einfühlsam das Gesicht. »Ich frage mich, welcher Schuß zuerst abgefeuert wurde.«
»Keine Ahnung.«
»Ich tippe auf den Kopf.«
»Warum?«
»Der Schuß in die Brust hätte ihn vielleicht nicht umgebracht, aber bestimmt gelähmt.«
»Seine Lungen wären vollgelaufen. Und?«
»Und wenn mir jemand in die Hoden schießen würde, dann würde ich automatisch versuchen, sie zu schützen.«
»Also sich im Todeskampf die Eier halten?«
»So in etwa.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wildes Arme lagen neben dem Körper. Keine Anzeichen für einen Kampf oder irgendwelche Gegenwehr. Er kannte vermutlich seinen Mörder. Vielleicht hat er sogar geschlafen. Er hat es nicht kommen sehen.«
»Das tun die Opfer selten«, murmelte Cassidy. »Wann, meinen Sie, ist es passiert?«
Sie nahm die rechte Hand des Leichnams und drehte sie im
Handgelenk, um die Starre zu überprüfen. »Mitternacht. Vielleicht früher.« Sie ließ die Hand wieder auf das Laken fallen und fragte: »Kann ich ihn jetzt haben?«
Cassidy musterte die entstellte Leiche ein letztes Mal. »Bedienen Sie sich.«
»Ich werde zusehen, daß Sie eine Kopie des Autopsieberichts bekommen, sobald ich fertig bin. Rufen Sie bloß nicht an und hetzen mich, bevor ich durch bin, sonst dauert’s nur noch länger.«
Dr. Dupuis ging davon aus, daß er den Fall verfolgen würde. Er widersprach ihr nicht. Es war nur eine Frage der Zeit. Er würde diesen Fall übernehmen.
Cassidy trat beiseite, um der Spurensicherung Platz zu machen, und führte eine kurze Bestandsaufnahme des
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