Sündige Sommernächte - Kent, A: Sündige Sommernächte
1. KAPITEL
Donnerstagmorgen
„Whip! Ich brauche den Drehmomentschlüssel, sonst werde ich hier nie fertig.“
„Sieh doch dahinten in der Werkzeugbox nach, Sunshine. In der zweiten Schublade. Da habe ich ihn vorhin rausgenommen.“
„Na, jetzt ist er jedenfalls nicht mehr da drin. In keiner der Schubladen oder Kisten. Ich hab überall nachgesehen.“
Trey „Whip“ Davis war gerade damit beschäftigt, ein Verlängerungskabel auf dem Boden der mobilen Rennbox zu fixieren, die vor dem Corley-Motors-Trailer errichtet worden war. Mit diesem Truck transportierte „Bad Dog“ Butch Corley seinen Dragster zu den Veranstaltungen der National Hot Rod Association. Trey richtete sich auf und rekapitulierte die bisherigen Schritte dieses Tages.
Er hatte den Drehmomentschlüssel bei sich gehabt, als er Butch, der ein spätes Frühstück mit seiner Frau und seinem Sohn zu sich nahm, mit seinem Handy anrufen wollte – nur um festzustellen, dass er das Gerät im Regal in der Werkstatt hatte liegen lassen. Anscheinend war er von ihm beiseitegelegt worden,als er das Handy holte. Wo hatte er nur seinen Kopf?
So unorganisiert und durcheinander zu sein passte überhaupt nicht zu ihm. Er machte neuerdings dumme Fehler, und das musste aufhören. Sofort. Grübelnd ging er zu der offenen Tür des Wohnwagens. „Mach eine Pause und besorg dir eine Bratwurst und einen Kaffee. Ich werde improvisieren.“
Sunshine stand auf, streckte seine stämmige, einen Meter siebzig große Gestalt und setzte sein typisches sonniges Lächeln auf, das seine ohnehin schon rote Gesichtsfarbe noch intensivierte und seine blonden Augenbrauen beinah gebleicht aussehen ließ. „So’n Angebot kann ich nicht ausschlagen. Bis nachher, Boss.“
Treys Assistant Crew Chief ging zwischen den Wohnwagen und Sattelschleppern hindurch, die die Boxengasse des Dahlia Speedway in einen Campingplatz verwandelten, zu den Verkaufsständen. Die bunten Farben Hunderter von Logos auf den Trucks und T-Shirts, Baseballmützen und Tattoos leuchteten in der Vormittagssonne. Das galt auch für die zähnefletschende Corley-Bulldogge mit ihrem Stachelhalsband auf dem schwarzen Lastwagen von Treys Team.
Die Farben, das geschäftige Treiben, die Auspuffgase, der Zuschauerlärm und das düsenjägerlauteDröhnen der Motoren – Trey liebte es, wenn eine Dragster-Rennstrecke zum Leben erwachte, und er würde es vermissen, wenn er nicht mehr dabei war.
Wenn Corley Motors früh am Montagmorgen nach den Farron Fuel Spring Nationals an diesem Wochenende abreiste, würde Sunshine Treys Aufgaben als Crew Chief übernehmen, die darin bestanden, zusammen mit Butch Rennstrategien auszutüfteln und die Mechaniker anzuleiten.
Es war nur ein vorübergehendes Arrangement; Trey hatte seiner Mannschaft und seinem Fahrer klar zu verstehen gegeben, dass er zurückkommen würde. Fürs Erste würde er in Dahlia bleiben, der Kleinstadt, in der er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens verbracht hatte. Es wurde höchste Zeit, die Unterlagen und persönlichen Dinge durchzusehen, die er in den sechs Monaten seit dem Tod seines Vaters nicht angerührt hatte.
Da er nur selten zu Besuch kam, sah er keinen Grund darin, das Haus zu behalten. Natürlich hingen Erinnerungen daran, aber er war nicht so sentimental, deswegen das Haus nicht zu verkaufen. Er konnte sich auch so jederzeit an seine Kindheit erinnern.
Unglücklicherweise musste er noch sehr viel Arbeit in das Haus stecken, bevor an einen Verkauf zu denken war. Außerdem wusste nur er, welcheDinge weggeworfen werden konnten und welche aufbewahrt werden mussten, bis ein Verkauf oder eine Schenkung unter Dach und Fach war.
All diese neuen Verpflichtungen waren für seine Zerstreutheit verantwortlich. Aber nur zum Teil. Was ihn außerdem beschäftigte, war die Frage, weshalb sein Vater kurz vor seinem Tod auf einen verdienten Bürger der Gemeinde Dahlia losgegangen war und beinah den Sohn dieses Mannes umgebracht hätte, als der ihm zu Hilfe eilen wollte.
Damit er sich um diese Dinge kümmern konnte, blieb Trey nichts anderes übrig, als eine Auszeit zu nehmen. Andernfalls würde er seinen Job als Butch Corleys Tuning-Boss gefährden, und er hatte zu hart gearbeitet, um es so weit kommen zu lassen. Kein Mechaniker, der noch bei Trost war, würde für jemanden arbeiten wollen, der nicht ganz bei der Sache war, und kein Fahrer würde so jemanden an seinen Rennwagen lassen.
Da er wusste, dass Sunshine einem Plausch ebenso wenig widerstehen konnte
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