Sündiger Mond
ich weinte, kannte er nicht an mir. Damit er mich über dem Regen, der aufs Dach trommelte, überhaupt hören konnte, musste ich schreien, weil die Bibliothek, die Kit völlig umgestaltet hatte, drei Stockwerke hoch war, mit einer breiten Galerie an der vorderen Wand. Es war die extravaganteste, bestausgestattete Privatbibliothek, die ich je gesehen hatte.
Ich beschuldigte Hickley der Untreue, der Perversität und des Betrugs, weil er in mir den Glauben geweckt hatte, er mache sich etwas aus mir, während ihm in Wirklichkeit nur die zwei Millionen Dollar meines Vaters etwas bedeuteten. Ich sagte, er habe mir vorgegaukelt, wir würden aus Liebe heiraten, und dabei sei es einfach nur eine geschäftliche Transaktion zwischen einem gierigen britischen Lord und einer naiven amerikanischen Erbin. Ich zerrte mir den Saphirring vom Finger und warf ihn ihm an den Kopf. Erst da begriff er die wirkliche Tragweite meiner Wut und die Konsequenzen für ihn: Die kleine Yankee hatte ihm das Geschäft vermasselt.
Sein Verhalten änderte sich, und seine milde Verwirrung wich ernsthafter Nervosität. Er schwor, er habe unsere Verlobung nie als geschäftliche Transaktion betrachtet, ich bedeute ihm weit mehr, als er sich anmerken ließe, aber er habe Angst gehabt, sich zu erklären, da wir uns doch erst so kurze Zeit kennen würden. Ich könne mich auf keinen Fall so schnell in ihn verliebt haben wie er sich in mich, und ich solle ihm doch bitte, bitte eine zweite Chance geben …
Ich erwiderte, dass ich ihm das nicht abkaufen würde. Wenn er mich wirklich liebte, dann hätte er mir in New York mehr als nur ein trockenes Küsschen gegeben. »Ich weiß, dass ich nicht schön bin, aber wenn Sie eine Frau lieben, wollen Sie dann nicht … dieser Liebe mit mehr als Worten Ausdruck verleihen ?«
Hickley sagte, er sei verrückt nach mir, aber er habe sich im Zaum gehalten, um keine Grenzen zu überschreiten. Er erklärte, alle Männer hätten Bedürfnisse, aber ein wahrer Gentleman würde nicht im Traum daran denken, die Unschuld und den Ruf seiner Verlobten aufs Spiel zu setzen. Deshalb würde er, wie jeder andere Junggeselle, den er kannte, seine Lust »dort abladen, wo er niemals wieder mit ihr konfrontiert würde«. – Es fällt Dir vielleicht auf, dass er mir hinsichtlich meines Mangels an Schönheit nicht widersprochen hat.
Dem Vorwurf der Perversität setzte er entgegen, dass ich nur deshalb so schockiert sei, weil die Amerikanerinnen im Gegensatz zu den Europäerinnen so prüde seien. Ich sei zwar aufgeklärt, fuhr er fort, aber meine Kultur habe mich nie auf etwas anderes vorbereitet als auf meine ehelichen Pflichten – »im Nachthemd und bei gelöschtem Licht«. Da ich also ein typisch ahnungsloses, uninformiertes amerikanisches Mädchen sei, würde ich die kreativeren Formen des Liebesspiels natürlich widerwärtig finden.
Es war mir schrecklich peinlich, dass er mich mit allen anderen in einen Topf warf, was zweifellos seine Absicht war, aber das wurde mir erst später klar, da ich so einem geübten Lügner noch nie begegnet war. Ich behauptete also, ich fände es überhaupt nicht widerwärtig. Dabei hatte mich der Cunnilingus erschreckt, und was ich von dem Auspeitschen halten sollte, wusste ich auch nicht. Ich sagte, ich sei nur ein wenig enttäuscht über seine Untreue. Und dann, Gott möge mir beistehen, ich verstünde nun besser, warum er sich so zurückgehalten habe, aber es sei wirklich nicht nötig gewesen, weil ich alles andere als prüde sei.
Nun, jetzt hatte er mich, und ich muss beschämt gestehen, dass mein Entschluss, die Verlobung zu beenden, wankte. Der Bastard sank auf die Knie, ergriff meine Hände und erklärte, er sei noch nie so verliebt gewesen, habe noch nie eine wirkliche Beziehung gehabt und könne den Gedanken nicht ertragen, mich zu verlieren. Da es mich bekümmere, ihn mit anderen Frauen zu sehen, versprach er, bis zur Hochzeit »wie ein Mönch zu leben«. Und unsere »ehelichen Beziehungen« würden so abenteuerlich sein, wie ich es wünschte.
Ich erwiderte, ich hätte mich immer schon als abenteuerlustig empfunden. »Ich mag über solche Angelegenheiten gegenwärtig nicht viel wissen, aber ich versichere Ihnen, ich bin offen für alles und bereit zu lernen – wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.«
Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Er sprang auf und holte aus der gegenüberliegenden Ecke der Bibliothek ein Buch, das er mir reichte. »Es gibt hier eine herausragende kleine Sammlung
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