Sueßer Tod
alten Bekannten Madeline Huntley in Empfang genommen. Nach der gebührenden Begrüßung überfiel Kate Madeline mit der Frage, was sie um Gottes und der Psychiatrie willen am Clare College zu suchen habe.
»Ich versuche, die Studentinnen davon zu überzeugen, daß Depressionen und Schuldgefühle keine Sünden sind, die nur von den radikalen Linken begangen 26
werden, sondern zu den allgemein menschlichen Empfindungen gehören, derer sich niemand schämen muß. Die Studentinnen geben vielleicht zu, daß sie Eßprobleme haben, womöglich gehen sie sogar so weit zuzugestehen, daß sie sich wegen ihrer Examensnoten ein bißchen zu sehr verrückt machen; aber wage es anzudeuten, daß sie vielleicht Haßgefühle haben oder gar so etwas wie Depressionen kennen – und schon hast du die ganze protestantische Ethik und altmodische Vorstellung von Sünden gegen dich. Du würdest es nicht für möglich halten.«
»Aber was für eine Art Institut ist das, und warum leitest du es?«
»Ein Mann namens Jackson, der Witwer einer ehemaligen Studentin, hat die Mittel für dieses Institut gespendet. Institut heißt es nur, weil es schließlich irgendeinen Namen haben muß, und die Gelder, obwohl recht ansehnlich, reichen natürlich wie immer nicht aus. Aufgabe des Instituts ist es, die Probleme von Studentinnen und Lehrenden mit ihrer Rolle als Frau zu untersuchen. Aber daß irgendeine der Frauen hier möglicherweise tiefverwurzelte Verhaltensweisen hat, die damit zu tun haben, daß sie eine Frau ist, das darf niemals erwähnt werden.
Man darf noch nicht einmal andeuten, daß es in unserer heutigen Welt irgendwelche Nachteile haben könnte, eine Frau zu sein.«
»Klingt sehr nach Phyllis Schlafly. Sie halten wohl auch die Atombombe für ein Geschenk Gottes?«
»Ganz so schlimm ist es nicht. Die meisten sind für Abrüstung und Rettung der Umwelt, und empören sich auch über die Japaner, die die Wale töten. Aber sie sind zutiefst mißtrauisch, wenn jemand auch nur andeutet, daß die patriarchalische Struktur (ich flüstere dir den Ausdruck ganz leise ins Ohr) sie unterdrückt und daß sich das vielleicht ändern sollte. Wage auch nie, in Zweifel zu ziehen, daß die Institution Familie der Inbegriff aller Tugend unâper se das Bollwerk gegen alles Böse ist. Derlei Zweifel werden hier als Hirngespinste schriller Feministinnen –
auch Emanzen genannt – betrachtet. Möchtest du die ganze Leier hören?«
»Weißt du was?«, sagte Kate. »Immer, wenn ich nach Boston komme und mich jemand vom Flughafen abholt, dann habe ich die anregendste Unterhaltung meines ganzen Aufenthaltes, wenn ich, wie jetzt, in einem Verkehrsstau im Callahan Tunnel feststecke. Eigentlich sollte man doch meinen, daß Frauencolleges die Frauenproblematik bewußter angehen als andere.«
»Sollte man meinen, ist aber nicht so. Dafür gibt es eine Menge Erklärungen.
Und meine, wenn du sie hören willst, lautet: die Studentinnen sind alle äußerst damenhaft, nennen sich Mrs. John Jones II und fänden es höchst unpassend, für Frauen, wenn sie schon keine Ehefrauen und Mütter sind, etwas anderes als helfende und ehrenamtliche Dienste zu fordern. Ich weiß, das hört sich unglaublich überholt an, trifft aber immer noch zu. Nicht eines der Frauencolleges in Neuengland hat sich beim Kongreß dafür eingesetzt, daß die Gleichberechtigung in der Verfassung verankert wird oder hat sich sonst in irgendeiner Weise für die 27
Rechte der Frau stark gemacht. Das Ergebnis ist, daß sie den einstmals rein männlichen Colleges weit hinterherhinken – in allem, angefangen bei der Frage feministischer Studiengänge bis hin zum öffentlichen Engagement für geschlagene Frauen.«
»Ich begreife das nicht«, sagte Kate. »Vielleicht liegt es an den Abgasen im Tunnel, aber ich begreife es einfach nicht. Bestimmt haben sie Frauen, die Hervorragendes geleistet haben und die man als Feministinnen bezeichnen könnte, die Ehrendoktorwürde verliehen?«
»Das Smith College ja, das Clare nicht. Smith hat Betty Friedan und Gloria Steinern den Ehrendoktor gegeben – nun, beide studierten am Smith – aber auch Adrienne Rieh, die nicht dort studierte, bekam einen. Patrice Umphelby hat vom Clare College nie eine Auszeichnung, noch nicht einmal soviel wie einen lobenden Klaps auf die Schulter bekommen. Während ihrer ganzen Zeit hier hat sie schließlich pausenlos beunruhigende Dinge gesagt und sich sehr wenig damenhaft benommen! Ich weiß übrigens, daß du wegen Patrice
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