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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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mir, macht schnell!«
    Der Schatten beugte sich ohne Eile über ihn. Er schien unentschlossen, ob er etwas unternehmen sollte oder nicht. Dann endlich, eine halbe Ewigkeit war vergangen, wurde dem Verzweifelten ein Seil zugeworfen. In diesem Augenblick bohrten sich die Krallen einer Löwin durch die Schlitze seiner Kniehose in seine Haut. Fast gleichzeitig warf er seinen dunklen Übermantel nach unten – in der irrigen Hoffnung, die von dem weiten Kleidungsstück abgelenkten Tiere würden von ihm lassen – und griff nach dem Seil. Das zweite Raubtier sprang an der Mauer hoch und bekam sein linkes Bein zu fassen. Einen fürchterlichen Moment lang hing der schmächtige Gelehrte zwischen der Löwin und dem Seil. Er brüllte vor Schmerz und Wut.
    »Worauf wartet Ihr? Zieht mich hoch!«
    Einen Augenblick später lag er im äußeren Burghof, aus beiden Beinen blutend, frierend, am ganzen Körper zitternd. Über ihm stand Sebastian Langhahn, der blasse, rothaarige Soßenkoch der herzoglichen Hofküche. Dieser rührte sich nicht vom Fleck, musterte wortlos den nach Luft ringenden, empörten Geretteten.
    »Bei allen Teufeln, worauf wartest du? Hol Hilfe, ich kann nicht laufen.«
    Ob der Soßenkoch tatsächlich reagierte, blieb Widmannstetter verborgen, denn da brach aus dem Hofstallgebäude das Küchenvolk hervor, laut staunend und fragend. Halb bewusstlos wurde der Verletzte in die Küche getragen, während sich die Löwen den Ärger über die entgangene Beute aus dem Leib brüllten, was alle anderen Tiere nochmals in Angst und Schrecken versetzte.
    Im riesigen Küchentrakt war es an diesem Novemberabend dunkel. Nur von der sorgfältig gehüteten Glut und ein paar hastig entzündeten Öllampen kam etwas Licht. In dieser Jahreszeit wurde früh zu Abend gegessen, früh aufgeräumt und früh zu Bett gegangen.
    Widmannstetter fragte sich, ob nicht ein zweiter Albtraum dem ersten folgte, so missgelaunt starrten ihn die verschlafenen Fratzen um ihn herum an. Wollten sie ihn ausbluten lassen wie eine Martinsgans? Er spürte schmerzhaft seine offenen, blutenden Wunden. Endlich erschien helleres Kerzenlicht.
    »Was ist hier los? Eine Prügelei? Ein Diebstahl?«
    Der herzogliche Küchenmeister Joris Kärgl erblickte den auf einem Arbeitsblock liegenden, vor Schmerz sich krümmenden Verletzten. Er schnappte überrascht nach Luft, reagierte aber sofort.
    »Bei allen Heiligen, Doktor Widmannstetter, was ist geschehen?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern gab mit sicherer Stimme Befehle. »Bertha, hol schnell die Herzogin Sabina! Du, Martin, lauf zum Wundarzt und bring ihn her! Nein, den Kaplan brauchen wir noch nicht.«
    Dann schickte Kärgl um frisches Wasser zum Brunnen, und ließ in der kleinen Mundküche im Siedehaus ein Feuer entzünden. Niemand murrte. Nach und nach erhellte sich das Gewölbe, wo Widmannstetter sich beinahe so fremd und verloren fühlte wie in der Löwengrube. Seine Welt waren der Fürstenbau, die prächtige Bibliothek, der große Dürnitz, wie der beheizbare Speisesaal der Burg hieß, und die geschäftige, reiche Stadt unten an der Isar, die wunderbare neue Residenz, die in Windeseile wuchs dank seines klugen Verstandes und umfangreichen Wissens. Dies hier, die Hofküche, kannte er nicht, verrußt, verschmiert, verraucht, diesen Bauchsack, der Tag für Tag Unmengen lebender Kreaturen verschlang – wie ihn vielleicht auch in dieser Nacht.
    Seine Welt war vor allem Anna Lucretia, die sich jetzt sorgenvoll über ihn beugte. Er verspürte immense Erleichterung.
    »Bin ich schon tot? Gott sei gelobt, mein teures Herz, wenn ich Euch sehe, spüre ich keine Schmerzen mehr. Meine Sünden sind mir vergeben. Ich bin im Paradies.«
    Er hörte und sah nichts mehr. Alles war auf einmal wohlig schwarz. Dann erklang Anna Lucretias Stimme, schrill, gequält.
    »Tante Sabina, er stirbt, was sollen wir tun? Mein Gott! Er stirbt gleich.«
    Beißender Essiggeruch stieg in Widmannstetters Nase. Eiskaltes Wasser lief ihm über Kopf und Füße. Er begann, erbärmlich zu zittern. Das Paradies war verloren.
    »Rede keinen Unsinn, Kind. Hilf lieber. Er stirbt nicht, nicht jetzt.«
    Sabinas Stimme gab genauso präzise Befehle wie vorher die des Küchenmeisters.
    »Er muss ans Feuer. Körper hoch! Augen auf, Meister Albrecht! Kind, gib mir den Essig! Nein, besser das Ammoniaksalz.«
    Widmannstetter verzog Mund und Nase, schlug schwach um sich und erblickte wieder, Gott sei’s gelobt, die tapfer gegen ihre Tränen kämpfende Anna

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