Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
gegen das schwache Blut durchsetzt. Grünberger, ich brauche Euch jetzt.«
Der Oberkoch war fast auf einer Bank vor dem Siedehäuschen eingeschlafen. Ächzend erhob er sich.
»Zu Euren Diensten, Ihro Durchlaucht.«
»Ihr holt uns Gewürze und Zucker für einen kräftigen Hypocras: Zimt, Galgant, Ingwer, langen Pfeffer, Muskatnuss und Majoran. Kein Kardamom, keine Nelke, die trocknen das Blut nicht genug, dafür eine Unze Paradieskörnchen. Alles fein zerstoßen bitte, der Geist der Gewürze muss sich mit dem Wein vollständig mischen. Worauf wartet Ihr, Grünberger?«
Der kugelrunde Mann wagte es nicht, zu fluchen. Das Symbol seines Küchenrangs, der Schlüssel zur Zucker- und Gewürzkammer, den er als Einziger besaß, lag in seiner Truhe, ganz oben in seiner Schlafstube neben dem Söllerturm. Die Frage, ob der heilende Hypocras ohne von weither geholte Gewürze und kostbaren Zucker wirken würde, erübrigte sich. Er machte sich auf den Weg. Sabina wandte sich ihrer Nichte zu, die von Kärgl Wein und Salbei entgegennahm.
»Kind, lass schon den Wein mit den Kräutern aufkochen. Wir werden Doktor Widmannstetter noch ein wenig Schlafmohn geben, damit er trotz Schmerzen ruhen kann.«
Anna Lucretia schrie auf.
»Schlafmohn? Oh nein, liebste Tante, er ist so schwach. Was, wenn er nicht mehr aufwacht?«
»Beruhige dich, Kind, er kriegt nur eine Messerspitze davon.«
Mit zitternden Händen hängte das Mädchen einen kleinen Kessel über das Feuer im Siedehäuschen. Inzwischen hatte Theodor Grünberger den Zucker und die Gewürze in einem Mörser zerstampft. Das Einrühren und Einkochen übernahm er wortlos.
Wenig später lag Widmannstetter leicht berauscht in einem kleinen Gemach im Pfaffenstock unter einem Berg aus Daunen- und Felldecken. Nur äußerst widerwillig ließ sich Anna Lucretia vom Krankenlager vertreiben. Doch ihre Tante blieb erbarmungslos.
»Offiziell seid ihr noch nicht einmal verlobt.« Anna Lucretia blickte sie so wütend an, dass die Herzogin sie unsanft rügte. »Stellt Euch nicht so an, mein Fräulein von Leonsperg! Diese Löwengrubengeschichte ist seltsam. So oder so hat irgendjemand Schuld auf sich geladen. Das muss schnellstens geklärt werden. Dafür brauchen wir einen gesunden Doktor Widmannstetter.«
»Schuld? Wer soll Schuld tragen?« Anna Lucretia geriet in hellen Aufruhr. »Es war ein schrecklicher Unfall. Das ist doch schon schlimm genug.«
»Nein, Kind.« Sabina schüttelte düster den Kopf. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist er in die Löwengrube allein reingefallen, dann war er schändlich betrunken. Oder man hat ihn reingeworfen, dann ist das ein Fall für den Henker. Wir werden sehen, Kind, ob er Vergebung verdient. Geh jetzt schlafen!«
Doch die ganze Nacht machte Anna Lucretia kein Auge zu. Johann Albrecht war nicht betrunken gewesen, dessen war sie sich sicher. Wer hatte versucht, ihn den Löwen zum Fraß vorzuwerfen? Aus welchem Grund? Es war wohlbekannt, dass der Bau der Stadtresidenz nach italienischem Vorbild, der erste Bau seiner Art nördlich der Alpen, etlichen Leuten missfiel. Niemand machte ein Hehl daraus: Sei es der neidische Hof in München, seien es die beleidigten Handwerker und Künstler in Landshut. Aber deswegen ein Mord? An Widmannstetter, dem gelehrten Dekorations- und Stilberater? Da hätte es viel eher den italienischen Baumeister, einen wahrlich unentbehrlichen Mann, oder wenigstens einen aus seiner zahlreichen Bautruppe treffen müssen, die er von jenseits der Alpen mitgebracht hatte. Das alles ergab keinen Sinn.
2
Drei Tage nach Widmannstetters Sturz in die Löwengrube konnte dieser endlich wieder vor seinem Herrn erscheinen.
Obwohl nach wie vor ein beeindruckender Mann, hatte Herzog Ludwig X. von Landshut sichtlich Mühe, der Angelegenheit mit voller Aufmerksamkeit zu folgen. Der große, kräftige Fürst, ein Lebemann mit majestätisch-ebenmäßigen Zügen und warmen, braunen Augen, die er seiner Tochter vererbt hatte, neigte schon seit Langem zur berüchtigten Wittelsbacher Fettleibigkeit. Sein nach neuester Mode wallender Bart und seine akkurat unter den Ohrläppchen geschnittenen Haare, seine ebenso modische wie kostbare Kleidung ließen leicht vergessen, dass er in letzter Zeit beunruhigend kränkelte. Beingeschwüre, permanenter Durst, häufige Lungen- und Halsfieber plagten ihn zunehmend.
Umso lebhafter hörte Herzogin Sabina Widmannstetter zu. Sie führte schon lang den Landshuter Hofstaat für ihren unverheirateten Bruder.
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