SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
Oberkörper und die Rückenlehne des massiven Holzstuhls glatt durchschlagen.
Takashi Kimura, Gebieter über den Gonagawa-kai, eine der mächtigsten Yakuza-Gruppierungen Japans, hing tot in einem Designersessel auf der Terrasse seines Wochenendhauses. Takeda konnte den Anblick kaum ertragen. Sein Meister, Oberhaupt des Syndikates, war einem Attentat zum Opfer gefallen.
Unmöglich! Ich kann es nicht fassen.
Kimura war zeitlebens ein Frühaufsteher gewesen, der um 5 Uhr morgens mit körperlicher Ertüchtigung seine Lebensgeister weckte und anschließend eine Tasse Grüntee zu sich nahm. Normalerweise blieb Takeda in seiner Nähe, besonders wenn er nach draußen ging.
Gegen einen Angriff eines Scharfschützen gibt es kein Mittel außer der Intuition. Aber ich hätte den Mörder sofort verfolgen können, wenn ich zur Stelle gewesen wäre. Keine Anzeichen für mehrere Projektile. Langdistanz. Großes Kaliber.
Das Anwesen Kimuras war in einem Umkreis von einem halben Kilometer um das Haupthaus hermetisch abgeriegelt. Es wurde streng bewacht. Ein stromgeladener Zaun, die teuersten elektronischen Einrichtungen und bewaffnete Wachleute an den Zufahrten verhinderten ein unbefugtes Betreten des Geländes.
So hatte es keinen Grund zur Sorge gegeben, als Takeda lange vor Morgengrauen am Steuer der schwarzen Limousine zum Hauptbahnhof von Karuizawa aufgebrochen war.
Wer ist zu einem solchen Frevel fähig?
Takeda war zum ersten Mal in seinem Leben absolut ratlos. Unfähig, klar zu denken.
Mein Meister, mein Vater 4 – schändlich hingerichtet. Ich zu einem Ronin 5 geworden, ohne Herr und Pflicht. Welch böser Streich der Shugojin 6 ! Die Gunst der Gunshin 7 hat uns verlassen. Welch unermessliches Unglück! Der Rat der Weisen muss entscheiden, was zu tun ist.
Takeda erhob sich und ging ein paar Schritte auf die Terrasse hinaus. Sein Blick verlor sich im riesigen schneebedeckten Garten und im weiten Laubwald, welcher sich nach allen Seiten erstreckte. Der Wind hatte aufgefrischt. Er schob den Schnee in kleinen Verwehungen vor sich her. Takeda stampfte hinaus in den Wald und blieb in einiger Entfernung vom Anwesen entfernt stehen.
Keine Spuren, keine Anzeichen eines Eindringlings. Bei dem Wetter werde ich nichts finden.
Takeda zog seinen Mantel enger um sich, hob die Schultern und machte rechtsumkehrt. Er schüttelte seinen Oberkörper, wie wenn er damit die quälenden Gedanken loswürde. Er versuchte seine Wut und seine Trauer in Zaum halten. Takashi-San war für ihn wie ein Vater gewesen.
Weise und hart – aber auch gerecht und voller Lehre.
Der Tote hatte zwei Töchter, keine männlichen Nachkommen. Wohl mitunter ein Grund, warum er ihn wie seinen eigenen Sohn behandelt hatte.
Mehr als ein Musuko 8 , näher als alle anderen. Jetzt steht alles auf dem Spiel.
Kimura hatte seinen Leibwächter und Protegé Takeda zu jeder Zeit seine Pflichten und Regeln spüren lassen, aber kaum jemandem sonst war ein solches Vertrauen des Oberhauptes zuteil geworden, kaum jemandem hatte der Gebieter so viel beigebracht. Fremde Sprachen, der Wert der geschriebenen Schriften, die Führung eines Geschäftes, das Befehligen von Untergebenen, Selbstdisziplin – aber auch ausgelassenes Feiern und die Fähigkeit, Vertrauen zu schenken.
Takedas Blick hob sich zum Himmel hin. Er schweifte an den Baumkronen der umliegenden Bäume entlang, Morgenlicht suchend. Einige Vögel erhoben sich mit einem flatternden Geräusch. Aufgeworfener Schnee stob durch die Luft und landete auf dem Boden.
Takedas Verstand arbeitete jetzt auf Hochtouren. Wer?
Mit den Anführern der beiden anderen mächtigsten Yakuza-Syndikate lebte der Gonagawa-kai in einem Waffenstillstand.
Boutaihou, das Anti-Yakuza-Gesetz, hatte Spuren hinterlassen.Seit langer Zeit hatten die Clans untereinander keine Kriege mehr geführt.
Der Kampf um die Sicherstellung der Einkünfte gegen die «sauberen» Behörden und die Regierung ist hart genug. Stecken etwa die Chinesen dahinter? Die Shih-Hai-Triade? Diese schlitzäugigen, rundgesichtigen Schergen wagen sich zwar immer tiefer in unsere Heimat vor, aber das traue ich ihnen nicht zu. Shih-Hai-Triade – die Gang Der Vier Meere. Ha! Lächerlich!
Es blieb ihm vorerst nichts anderes übrig, als die Formalitäten für Takashis Bestattung in die Wege zu leiten und die genaue Todesursache sowie Tatzeit abklären zu lassen.
Er rief den Butler zu sich, der niedergeschlagen im Durchgang zwischen
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