Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Kapitel 1
Jane hatte Gänsehaut an den Armen und stampfte wütend mit dem Fuß auf – bestimmt wegen der Kälte. Sie würde aber natürlich behaupten, sie mache damit nur ihrem maßlosen Ärger Luft, und weiterhin die Theorie vertreten, dass das Kettenrauchen sie warm hielt.
» Das kotzt echt an«, motzte sie, schnippte ihre Zigarettenkippe auf den feuchten Gehsteig und trat sie mit ihren hochhackigen Stiefeln aus.
» Vielleicht sollten wir es für heute einfach aufgeben«, schlug ich vor.
Unsere gefälschten Ausweise waren lange nicht so überzeugend, wie Janes Kontakt versprochen hatte, sodass wir bereits vor der dritten Disko Schlange standen. Und sicher würden uns die Türsteher auch hier abweisen – wenn wir es überhaupt bis zur Tür schafften.
Ich hatte an diesem Abend Jane für mein Outfit sorgen lassen. Mit dem Ergebnis, dass nichts wirklich passte und alles viel zu freizügig war für eine Nacht in Minnesota. Dicke Nebelschwaden hingen über uns, doch Jane weigerte sich zu zittern und tat so, als kümmere sie die Kälte nicht im Geringsten. Sie hatte vor, sich zu betrinken und sich dann von irgendeinem Typen abschleppen zu lassen, und es schien unmöglich, sie von ihrem Plan abzubringen.
» Nein!« Jane schüttelte den Kopf. » Hier kommen wir rein. Das spüre ich.«
» Es ist schon nach Mitternacht, Jane.« Die Stöckelschuhe, die sie mir geliehen hatte, waren die reinste Folter für meine Füße, weshalb ich von einem Bein aufs andere trat, um die Schmerzen erträglicher zu machen.
» Ich möchte aber abtanzen und Spaß haben!«, jammerte sie und sah dabei viel jünger aus als siebzehn, was unsere Chancen, reingelassen zu werden, nicht gerade erhöhte. » Komm schon, Alice! Wozu sind wir denn jung?«
» Hoffentlich nicht dazu«, murmelte ich. Ich konnte mir Besseres vorstellen, als stundenlang vor Diskos Schlange zu stehen, um am Ende doch nirgends reinzukommen. » Wir können es ja nächstes Wochenende wieder probieren. Versprochen. Und bis dahin haben wir vielleicht auch bessere Ausweise.«
» Nicht mal was zu trinken hab ich«, schmollte sie. Doch ich merkte, dass sie allmählich klein beigab.
» Wir treiben bestimmt irgendwo was auf«, sagte ich.
Jane blieb nie auf dem Trockenen sitzen. Sie hatte ein besonderes Talent, an Alkohol zu kommen, denn wo Jane war, ließ die Party nicht lange auf sich warten.
» Gut.« Widerwillig trat sie aus der Warteschlange, und wir machten uns auf in Richtung zu Hause, weg von der grellen Neonbeleuchtung der Diskotheken, dem Zigarettenqualm und den beschwipsten Nachtschwärmern in Partylaune. » Aber du schuldest mir was.«
» Warum schulde ich dir was?«, fragte ich.
» Weil wir wegen dir so früh gehen.«
Wir waren erst ein paar Schritte gelaufen, als ich es in den geborgten Schuhen nicht mehr aushielt. Ich blieb stehen und zog sie aus. Lieber lief ich barfuß auf dem dreckigen Asphalt, als mir noch mehr Blasen zu holen. Wahrscheinlich würde ich Kaugummi in eine offene Wunde bekommen und davon Typhus oder Tollwut kriegen, doch selbst das schien noch das kleinere Übel zu sein.
Unser Heimweg führte uns weg von den Lokalen in eine ziemlich verlassene Gegend. Mitten in der Nacht durch Downtown Minneapolis zu spazieren, war nicht gerade das Sicherste, was zwei junge Mädchen tun konnten.
» Wir sollten uns ein Taxi nehmen«, schlug ich vor.
Doch Jane schüttelte den Kopf. Wir hatten nicht viel Geld, und je länger wir zu Fuß gingen, desto weniger würde uns das Taxi kosten. Ich wohnte beim Loring Park. Das war zwar nicht sehr weit entfernt, aber auch nicht nah genug, um die ganze Strecke zu Fuß zu gehen.
Ein grün-weißes Taxi fuhr an uns vorbei, und ich schaute ihm sehnsüchtig hinterher.
» Wir brauchen sowieso Bewegung«, sagte Jane, die meinen Blick bemerkt hatte.
Ich fragte mich, warum ich mich immer wieder auf ihre dummen Abenteuer einließ, die für sie jedes Mal viel spaßiger waren als für mich. Die weniger sexy Begleitung zu sein, war keine besonders glamouröse Rolle.
» Mir tun aber die Füße weh«, erwiderte ich.
» Wer schön sein will, muss …«
» … leiden, ja, ja. Hab verstanden«, unterbrach ich sie mürrisch.
Jane zündete sich eine neue Zigarette an, und wir gingen schweigend weiter. Ich wusste, sie war sauer wegen des vermasselten Abends und plante insgeheim schon das nächste Abenteuer, in das sie mich hineinziehen konnte. Doch diesmal würde ich nicht darauf hereinfallen.
Der Verkehrslärm der Hennepin Avenue
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