Sumpffieber
...
Über die Augen des Vagabunden huschte der Schreck. Sein Dasein voller Elend erschien ihm jetzt in all dem Zauber grenzenloser Freiheit. Er sah den See und seine leuchtenden Wasser, die rauschende Dehesa mit ihren Dickichten und der Überfülle ihrer duftenden Waldblumen, sah alles – bis zu demSchanktisch von Cañamels Taverne, vor dem er früher so oft träumte und durch die Gläser hindurch das Leben in rosiger Farbe erblickte ... Und all das sollte er verlassen? ... Dicke Tränen begannen aus seinen Augen zu rollen. Aber was half's? – die Todesstunde nahte. In einer besseren Welt würde er das himmlische Lächeln erblicken, das Lächeln unendlichen Erbarmens, dessen er an jenem Abend am See teilhaftig geworden war.
Und plötzlich beichtete er ganz ruhig zwischen Erbrechen und Krämpfen dem Priester seine Mausereien bei den Fischern – so viele, daß er sie nur in Bausch und Bogen angeben konnte. Doch mit seinen Sünden enthüllte er gleichzeitig seinen Glauben: seine Hoffnung auf Christus, der von neuem kommen würde, um die Armen zu retten, ... und die seltsame nächtliche Begegnung am Seeufer.
»Sangonera!« unterbrach ihn rauh der Vikar. »Keine Flausen! ... Die Wahrheit sage jetzt. Nichts als die nackte Wahrheit.«
Die Wahrheit hatte er schon gesagt. Seine ganze Sünde bestand im Grunde nur in seiner Scheu vor der Arbeit, von der er glaubte, daß sie im Widerspruch stände zu Gottes Geboten. Ein einziges Mal hatte er sich darein ergeben, zu sein wie die anderen, seine Arme in fremdem Dienst zu gebrauchen und so mit dem Reichtum und Wohlleben in Berührung zu kommen. Und diese Inkonsequenz mußte er, ach! mit seinem Leben zahlen.
Sämtliche Frauen Palmars waren gerührt über diesen Lebensabschluß des Vagabunden. Seit seiner Flucht aus der Sakristei hatte er wie ein Heide gelebt, aber er starb als guter Christ. Die Natur seiner Krankheit erlaubte ihm nicht, den Leib des Herrn zu empfangen, und der Vikar begnügte sich damit, die letzte Ölung zu erteilen, wobei Sangonera in einem heftigen Brechanfall Don Miguels Sutane arg beschmutzte.
Die Hütte betraten jetzt nur noch ein paar ältere Frauen, die es sich, von einem Gefühl der Aufopferung getrieben, zur Pflicht machten, allen Sterbenden zur Seite zu stehen. Der Geruch drinnen wurde unerträglich; die Leute sprachen entsetzt von Sangoneras Agonie. Seit dem vergangenen Tage brach er keine Speisereste mehr aus – es war etwas Schlimmeres; und die Nachbarinnen hielten sich die Nase zu, wenn sie sich vorstellten, wie er auf dem Strohlager mitten im Kot lag.
Er starb am dritten Tage.
Von den wohlhabenden Frauen Palmars fühlten die, die eifrig zur Kirche gingen, ein zärtliches Mitleid für diesen Unglücklichen, der nach einem sündhaftenLeben sich mit dem Herrn ausgesöhnt hatte. Er sollte würdig die letzte Reise antreten. Bis nach Valencia fuhren sie, um alles vom Schönsten einzukaufen, wofür sie eine Summe ausgaben, die Sangonera bei Lebzeiten nie gesehen hatte.
Man kleidete ihn der Sitte gemäß in ein religiöses Ordensgewand und legte ihn in einen Sarg mit silbernen Beschlägen. Dann zog das ganze Dorf vor der Leiche vorbei. Seine alten Kumpane rieben sich die vom Alkohol geröteten Augenlider und unterdrückten mühsam das Lachen beim Anblick ihres Freundes, der, mit einer Kutte angetan, so sauber in dem weißen Sarg der Jungfräulichen ruhte. Sogar sein Abschied hier unten schien noch ein Ulk zu sein. Adios, Sangonera! Hinfort würden die Netze nicht mehr geleert werden, bevor die Besitzer sie aufholten; nie mehr würde er sich wie ein trunkener Heide mit den Blumen der Dämme umwinden!
Er hatte frei und glücklich gelebt, ohne die Mühsal der Arbeit, und hatte es verstanden, in die andere Welt mit dem Luxus eines Reichen zu gehen – immer auf Kosten anderer.
Um Mitternacht setzte man den Sarg in den »Aalkarren«, mitten zwischen die Fischkörbe, und der Sakristan mit dreien seiner Freunde beförderten die Leiche zum Friedhof.
Tonet legte sich nicht klare Rechenschaft ab über den Tod seines Kameraden. Er lebte in Nebeln, unaufhörlich trinkend, die Zunge gelähmt sowohl durch Alkohol als auch durch die Angst, zu viel zu sagen.
»Sangonera ist gestorben! Dein dickster Freund!« berichtete man ihm in der Taverne.
Er antwortete, indem er sich ein frisches Glas einschenkte, mit einem Brummen, während die Stammgäste sein Schweigen dem Kummer um den Toten zuschrieben.
Neleta, bleich und verstört, als wenn ständig ein Phantom
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