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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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flehend, aber dennoch liebevoll, sie glaubte immer noch, es könnte anders sein und im letzten Augenblick würde etwas nachgeben, würde die Faust seitwärtssinken und sie wären alle eine Familie.
    Im Bad waren Eunice’ Allergiemedikamente, ihre Tampons und teuren Lotionen bereits verschwunden – Joshie musste jemanden hergeschickt haben, um sie abzuholen   –, doch die Flasche Cetaphil Reinigungslotion stand noch in der Ecke der Wanne. Ich drehte die Dusche auf, stellte mich darunter und überschüttete mich mit Cetaphil. Ich rieb die Lotion in meine Schultern, meine Brust, meine Arme, mein Gesicht. Und in der schmerzenden Hitze des Wassers war meine Haut endlich so zart und rein, wie es die Flasche versprach.

WELCOME BACK, PARTNER
    Bemerkungen zur Neuausgabe der Lenny-Abramov-Tagebücher im «Verlag Literatur des Volkes»
    LARRY ABRAHAM
    Donnini, Freistaat Toskana
    1.
    Als ich klein war, liebte ich meine Eltern so sehr, dass man es schon als Kindesmisshandlung betrachten konnte. Jedes Mal, wenn meine Mutter wegen der «amerikanischen Chemikalien in der Atmosphäre» husten musste oder mein Vater sich an die belastete Leber griff, wurden mir die Augen feucht. Sollten meine Eltern sterben, starb ja auch ich. Und ihr Tod, so schien es mir immer, stand unmittelbar bevor und war unausweichlich. Versuchte ich, mir die Seelen meiner Eltern vorzustellen, dachte ich an diese vollkommen weißen russischen Schneewehen, die man in Geschichtsbüchern über den Zweiten Weltkrieg sah, wo auf Russlands Herz lauter Pfeile zielten, an denen die Namen deutscher Panzerdivisionen standen. Der dunkle Schandfleck auf diesen Schneewehen war ich. Noch bevor ich geboren war, hatte ich meine Eltern aus Moskau weggezerrt, einer Stadt, in der mein Ingenieurspapa sein Geld nicht mit dem Ausleeren von Papierkörben verdienen musste. Ich hatte sie weggezerrt, nur damit der Fötus im Inneren meiner Mutter, dieser
zukünftige Lenny
, es einmal besser haben konnte. Und eines Tages würde Gott michfür das, was ich ihnen angetan hatte, strafen. Er würde mich strafen, indem er sie tötete.
    Mein Vater fuhr mit bezeichnenden hundertvierzig Stundenkilometern in seinem schiffsartigen Chevrolet Malibu Classic, wechselte die Spuren, wie es ihm die Laune eingab, und linste mit unverhohlener Begeisterung auf den betonierten Mittelstreifen. Tatsächlich schleuderte er einmal über diesen Mittelstreifen und krachte gegen einen Baum, brach sich die Knochen in der linken Hand und konnte deshalb einen Monat seinen Hausmeisterpflichten nicht nachkommen («Sollen die Chinamänner doch an ihrem Müll ersticken!»). Eines Wintertages verspätete er sich mehrere Stunden, als er meine Mutter von ihrem Sekretärinnenposten abholte, und ich war überzeugt, er hatte die Baumnummer noch einmal abgezogen. Da lagen sie: die Gesichter vor Schreck geweitet und erstarrt, die vollen jüdischen Lippen unnatürlich lila, Glasscherben auf der Stirn, tot in einem grausamen Graben auf Long Island. Wo würden sie hinkommen, wenn sie starben? Ich versuchte mir aus kindlichem Hörensagen einen himmlischen Ort vorzustellen. Den pubertären Weisen unter uns zufolge sah der aus wie das Märchenschloss in dem frustrierenden Zauberer-und-Schwerter-und-nackte-Jungfrauen-Computerspiel, das wir alle spielten; und dieses Schloss erinnerte komischerweise an die schäbige Gartenwohnung, in der wir wohnten, abgesehen von den Türmchen obendrauf.
    Eine Stunde verging. Dann noch eine. Schluchzen und Schluckauf, meine Gedanken schweiften zum Begräbnis meiner Eltern. Synagogen haben keine Glocken, und doch läuteten welche, tief und klangvoll und absolut russisch. Ein Grüppchen gesichtsloser Amerikaner in dunklen Anzügen musste verpflichtet werden, die beiden Särge einen gewundenen Pfad entlangzutragen, den der Moskauer Bilderbuchschneezu beiden Seiten säumte. Mehr war nicht übrig von meinen Eltern, grausamer Schnee zu beiden Seiten des Begräbniswegs, zu kalt und zu tief für meine verwöhnten amerikanischen Füße, die vor allem den warmen, langflorigen Teppichboden kannten, den ein zurückgebliebener Amerikaner namens Al mehr schlecht als recht auf unseren Wohnzimmerboden getackert hatte.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Wie eine Gazelle sprang ich zur Tür und jubelte: «Mama! Papa!», doch sie waren es nicht. Es war Nettie Fine. Eine Frau, die zu beständig, zu reizend, zu nobel für eine Abramov war, egal, wie sehr sie sich auch mühte, unsere schönen russischen Wendungen zu

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