Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
schob die rahmenlose Brille höher auf die perfekt geformte Adlernase und blinzelte zu mir herunter. »Es geht um den Monsignore. Er hatte einen Unfall und liegt nun im Koma.«
Ich versuchte, dem Anlass entsprechend besorgt dreinzuschauen, obwohl ich den Monsignore ehrlich gesagt noch nie richtig leiden konnte. Ständig steckt er seine Nase in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen – meckert über Mädchen, die im Minirock zur Schule kommen, solche Sachen eben. Dagegen kümmert er sich nie um wirklich wichtige Sachen: zum Beispiel darum, dass die Hotdogs, die uns zu Mittag vorgesetzt werden, immer eiskalt sind.
»Wow«, sagte ich. »Autounfall?«
Pater Dominic räusperte sich. »Ähm … nein. Er ist fast erstickt.«
»Er wurde erwürgt?«, hakte ich hoffnungsvoll nach.
»Natürlich nicht. Also wirklich, Susannah«, rügte er mich. »Er hat sich bei einem Pfarrfest an einem Stück Hotdog verschluckt.«
Boah! So was nennt man wohl Ironie des Schicksals! Aber das sagte ich natürlich nicht laut, weil ich wusste, dass Pater Dom es nicht gutheißen würde.
»Tut mir leid«, sagte ich stattdessen. »Und, wie lange bleiben Sie weg?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete er gequält. »Das hätte wirklich zu keinem schlechteren Zeitpunkt passieren können. Jetzt wo am Wochenende die Auktion ansteht …«
Die Mission Academy ließ sich nämlich ständig was einfallen, um Spenden zu sammeln, und an diesem Wochenende sollte die jährliche Antiquitäten-Auktion stattfinden. Seit Tagen kamen immer wieder Sachspenden herein, die im Keller des Rektorats aufbewahrt wurden. Zu den wertvolleren Stücken gehörten ein Ouija-Brett, das aus der Zeit der Jahrhundertwende stammte (von CeeCees Medium-Tante Pru), und eine silberne Gürtelschnalle, die von den Geschichtswissenschaftlern von Carmel auf etwa Mitte des 19. Jahrhunderts datiert und von meinem Stiefbruder Brad auf dem Dachboden entdeckt worden war. Er war dort zu einer Säuberungsaktion verdonnert worden, aufgrund irgendeines Vergehens, an das ich mich schon gar nicht mehr erinnern konnte.
»Ich wollte, dass Sie wissen, wo ich bin.« Pater Dom zog ein Handy aus der Tasche. »Sie rufen mich doch an, wenn etwas … ähm … Ungewöhnliches passiert, nicht wahr, Susannah? Die Nummer ist …«
»Ich hab Ihre Handynummer schon«, unterbrach ich ihn. Pater Doms Handy war zwar neu, aber auch nicht so neu. Muss ich noch hinzufügen, wie sehr es mich ankotzt, dass Pater Dominic, der noch nie ein Handy gewollt hatte und schon gar nicht wusste, wie man damit umging, so ein Teil besaß, während ich weiterhin in die Röhre guckte? »Und was meinen Sie mit ›etwas Ungewöhnliches‹? Dass Brad in Trigonometrie doch noch eine Note schafft, die ihm seine Versetzung sichert, oder eher übernatürliche Phänomene, etwa irgendwelche ektoplasmischen Manifestationen in der Basilika?«
»Letzteres«, erwiderte Pater Dom und steckte sein Handy wieder ein. »Ich hoffe, dass ich in ein, zwei Tagen wieder hier sein kann, Susannah. Aber ich weiß, dass Ihnen in der Vergangenheit auch ein, zwei Tage absolut ausgereicht haben, um sich in tödliche Gefahr zu bringen. Ich würde Sie daher bitten, sich diesbezüglich möglichst zurückzuhalten. Ich habe wenig Lust, bei meiner Rückkehr feststellen zu müssen, dass mal wieder ein Teil der Schule in Schutt und Asche gelegt wurde. Ach, und wenn Sie so lieb sind … Sorgen Sie dafür, dass Spike immer genug Futter hat, ja?«
»Oh nein.« Ich wich zurück. Meine Hände und Unterarme waren das erste Mal seit langer, langer Zeit wieder frei von tiefen blutigen Kratzern, und ich hätte sie gerne so belassen. »Der Kater gehört mir nicht mehr. Der ist jetzt Ihrer.«
»Aber was soll ich denn tun, Susannah?« Er sah mich bekümmert an. »Soll ich etwa Schwester Ernestine bitten, nach ihm zu schauen? Aus Rücksicht auf ihre schweren Allergien dürfte ich doch gar kein Tier halten. Ich musste mich daran gewöhnen, bei offenem Fenster zu schlafen, damit dieses vermaledeite Tier hinein- und hinauskann, wie es mag, ohne von den Novizinnen gesehen zu werden …«
»Also gut«, unterbrach ich ihn mit einem lauten Seufzen. »Ich geh nach der Schule im Supermarkt vorbei. Sonst noch was?«
Pater Dominic holte eine zerknüllte Liste aus seiner Tasche.
»Oh«, meinte er, nachdem er sie überflogen hatte. »Da wäre noch die Gutierrez-Beisetzung. Ich hab alles erledigt – und die Familie ganz oben auf unsere Bedürftigenliste gesetzt, genau wie Sie das
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