Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
wollten.«
»Danke, Pater Dom«, sagte ich leise und sah unter dem Bogengang hindurch zu dem Brunnen, der in der Mitte des Innenhofs sprudelte. In Brooklyn, wo ich aufgewachsen war, hatte der November den Tod aller Vegetation bedeutet. Hier in Kalifornien – auch wenn es Nordkalifornien war – bedeutete der November nur, dass die Touristen, die jeden Tag die Mission besuchen, Khakihosen statt Bermudas trugen und die Surfer unten am Strand von Carmel ihre kurzärmeligen Neoprenanzüge gegen langärmelige eintauschen mussten. Immer noch blühten üppige rote und rosafarbene Blüten in den Beeten der Mission und in der Mittagspause geriet man in der Sonne durchaus ins Schwitzen.
Trotz der milden Temperaturen begann ich nun zu frösteln. Und das lag nicht nur daran, dass es im Bogengang schattig war. Nein, die Gänsehaut stammte von einer Kälte, die von tief innen kam. Denn so wunderschön der Garten der Mission auch war – es konnte keinen Zweifel daran geben, dass jenseits der lieblichen Blüten etwas Dunkles und …
… nun, Paul-Artiges lauerte.
Ja, der Typ hatte wirklich die Macht, selbst den sonnigsten Tag zu bewölken. Zumindest meinen Tag. Ob Pater Dominic das gleiche Gefühl hatte, wusste ich nicht … Ich bezweifelte es aber stark. Seit seinem schwierigen Schulstart hatte Paul nicht ansatzweise so viel Kontakt zu unserem Schulleiter wie ich. Was angesichts der Tatsache, dass wir alle drei Mittler waren, irgendwie seltsam erschien.
Aber offenbar fanden sowohl Paul als auch Pater Dom das ganz gut so. Sie hielten Abstand voneinander, und ich diente, wenn unbedingt nötig, als eine Art Nachrichtenüberbringerin vom einen zum anderen. Was zum Teil sicher daran lag, dass sie beide Kerle waren – seien wir ehrlich. Aber zu einem anderen Teil lag es auch daran, dass sich Pauls Verhalten – zumindest an der Schule – merklich verbessert hatte. Und so gab es keinen Grund, ihn je ins Büro des Direktors zu zitieren. Paul war zum Musterschüler mutiert. Er fuhr beeindruckende Noten ein und war sogar zum Kapitän des Herren-Tennisteams der Schule gewählt worden.
Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich es nicht geglaubt. Aber es war so. Paul zog es offenbar vor, Pater Dominic über seine außerschulischen Aktivitäten im Unklaren zu belassen, wohl wissend, dass der Kirchenmann sie sicherlich nicht gutheißen würde.
Da brauchte man sich nur die Gutierrez-Sache anzuschauen. Ein Geist hatte uns um Hilfe gebeten, und Paul hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als der armen Frau zweitausend Dollar zu klauen. So etwas hätte Pater Dominic ihm nie durchgehen lassen.
Aber er wusste gar nichts davon. Paul erzählte ihm natürlich nichts, und ich ehrlich gesagt auch nicht. Denn wenn ich es tat, wenn ich Pater Dom etwas erzählte, was auch nur ansatzweise an Pauls Musterschüler-Image kratzte, würde meinem Freund genau dasselbe passieren, was auch schon Mrs Gutierrez passiert war.
Also, dem Kerl, der mein Freund hätte sein können. Wenn er nicht tot gewesen wäre.
Paul hatte mich also in der Hand. Er hatte mich genau da, wo er mich haben wollte. Na ja, vielleicht nicht ganz da, aber doch ziemlich nah dran …
Und deswegen war ich gezwungen gewesen, auf eine Notlüge zurückzugreifen, um der Familie Gutierrez, die beraubt worden war, auch wenn sie nichts davon wusste, zu ihrem Recht zu verhelfen. Zur Polizei hätte ich ja schlecht gehen können. ( Also, es war so, Officer, Mrs Gutierrez’ Geist hat mir verraten, dass das Geld unter einem Stein in ihrem Garten versteckt ist, aber als ich da gegraben habe, musste ich feststellen, dass es schon ein anderer Mittler an sich genommen hatte … Was ein Mittler ist? Ein Mensch, der als Vermittlungsstelle zwischen den Lebenden und den Toten fungiert. Hey, Augenblick mal … Was haben Sie mit der Zwangsjacke vor? )
Deshalb hatte ich den Namen der Familie ganz oben auf die Bedürftigenliste gesetzt, was Mrs Gutierrez eine anständige Beerdigung beschert hatte – und ihren Hinterbliebenen etwas Geld, um einen Teil ihrer Schulden abzubezahlen. Zweitausend Dollar waren es allerdings sicher nicht gewesen.
»… während ich weg bin, Susannah.«
Zu spät versuchte ich, mich wieder auf Pater Doms Rede zu konzentrieren. Ich konnte ja schlecht fragen: »Was haben Sie eben gesagt?« Denn dann hätte er nachgefragt, wo ich in Gedanken gewesen sei.
»Versprechen Sie mir das, Susannah?«
Pater Dom sah mich mit seinen blauen Augen eindringlich an. Was konnte
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