Schatten des Schicksals
Prolog
Das Tal am Little Bighorn,
Juni 1876
Er ritt aus dem goldenen Dunst des Spätnachmittags, eine dunkle Silhouette vor dem blendenden Licht des Sonnenuntergangs. In vollendeter Harmonie mit seinem Pferd, schien er dem Erlöschen des Tages zu trotzen dem Tod, der ihm auf dem Schlachtfeld drohte.
Während die Sonne tiefer sank, färbte sie Himmel und Erde blutrot. Sabrina hörte die ohrenbetäubenden Schüsse, das Zischen der Pfeile, und sie stand immer noch wie gelähmt da.
Zählte er zu den Feinden, gegen Gewehrfeuer und Pfeilspitzen gefeit? Würde er ihren Skalp erobern, eine Trophäe für seine Lanze?
»Runter mit Ihnen, Mrs. Trelawny!« schrie Sergeant Lally.
Eine weitere Indianergruppe galoppierte heran, vier oder fünf Krieger. Unter den Hufen wirbelte Staub auf, als sie die Pferde zügelten. Ein Pfeil raste an Sabrinas Kopf vorbei und bohrte sich in einen Baumstamm.
Entsetzt warf sie sich zu Boden und betete. »Was ist los, Sergeant Lally?« rief sie und bekam keine Antwort.
Nach einer Weile erhob sie sich vorsichtig und spähte über den niedrigen Hügel aus Erdreich und Steinen, hinter dem der Sergeant sie beim Angriff der Indianer auf die Pelzhändler in Sicherheit gebracht hatte. Mit dieser Reisegruppe war sie westwärts geritten. Nun lag Lally, ihre Eskorte, am Boden. Aus seinem Rücken ragte der Schaft eines Pfeils. Mühsam unterdrückte sie einen Schreckensschrei, eilte zu ihm und kniete nieder. Als sie seinen Kopf hob, starrte sie in blicklose braune Augen.
Behutsam schloss sie die Lider des Soldaten, der ihr Freund geworden war, und gewann den unheimlichen Eindruck, jemand würde sie beobachten.
Sie schaute sich um und sah einen Sioux auf einem ungesattelten Appaloosa-Pferd sitzen, die nackte Brust mit blau-weißer Kriegsbemalung geschmückt. Zunächst dachte sie, das müss te der Reiter sein, der aus den Flammen der sinkenden Sonne aufgetaucht war.
Aber hinter ihm ritt jener Mann immer noch heran. Und dieser Krieger hatte den Angriff auf ihre Reisegesellschaft eröffnet. Drei berittene Freunde umringten ihn, doch sie bezweifelte nicht, dass er der Anführer war, und die Beute des Siegers gehörte ihm.
Tapfer hielt sie seinem Blick stand und versuchte, nicht an Lally und die toten Pelzhändler zu denken einst Freunde der Sioux. Der Indianer schwang seinen Bogen hoch, stieß einen schrillen, beängstigenden Triumphschrei aus und sprang vom Pferd. Obwohl er Sabrina lächelnd musterte, las sie eine tödliche Drohung in seinen tintenschwarzen Augen. Nein , ich werde nicht vor ihm zittern, be schloss sie. Und ich darf auch nicht sterben. Nicht jetzt, wo das Leben so kostbar ist.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie so viel verloren das Baby und Sloan und womöglich ihre eigene Seele. Und nun bot sich die Chance, alles zurückzugewinnen. Welch eine Ironie ...
Niemals hatte sie sich vorgestellt sie könnte hier draußen sterben. Sie war schon oft in gefährliche Situationen geraten. Doch sie hatte dem Tod noch nie so unmittelbar ins Auge geblickt.
Zu spät erkannte sie, wie dumm sie gewesen war. Die anderen Frauen bewunderten Sabrinas innere Stärke und Widerstandskraft.
Bedauerlicherweise hatten sie sich geirrt - sie war nicht stark gewesen, nur dumm.
Aber sie hatte hierherkommen müssen, um Sloan zu finden und zu retten. Nun würde sie vielleicht selber sterben. Und er würde nie von jener neuen Chance erfahren - dass sie wieder ein Kind erwartete.
Als der Krieger auf sie zuging, wich sie nicht zurück. Sie wuss te Beschied über die Sioux, deren Blut in Sloans Adern floß. Falls der Indianer sie töten wollte, würde er nicht zögern, ganz egal, ob sie um Gnade flehte oder nicht. Und das würde er um so mehr genießen, wenn sie schrie und vor Angst bebte.
Erst einmal spielte er Katz und Maus mit ihr. Er schlug gegen ihre Brust, so dass sie nach hinten taumelte und nach Atem rang. Zufrieden mit seinem Erfolg, lächelte er und trat wieder näher. Diesmal zuckte sie instinktiv zurück, aber er packte ihren Arm und schleuderte sie zu Boden. Die Luft wurde ihr erneut aus den Lungen gepress t. Als sie den Kopf zur Seite drehte, starrte sie in die leblosen Augen eines jungen Sioux-Kriegers , der während des Scharmützels gefallen war. Noch keine sechzehn Jahre alt dachte sie.
Plötzlich verschleierten Tränen ihren Blick. Wenn sie am Leben blieb und ihr Kind gebar - würde es die mahagonibraunen Augen seines Vaters geerbt haben? Augen, die manchmal in die Seele eines Menschen
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