Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
nicht verdenken. Er war als neu geborener Mensch aus dem Krankenhaus entlassen worden – ohne Vergangenheit (jedenfalls keine, die ihm in dieser Zeit etwas nützen würde), ohne Familie (mit Ausnahme von Pater Dominic und mir) und ohne Geld. Wer weiß, wie sich das alles entwickelt hätte, wenn wir Pater Dominic nicht gehabt hätten. Na ja, meine Mom und Andy hätten ihn ganz bestimmt erst mal bei uns wohnen lassen.
Luftsprünge hätten sie deswegen allerdings sicher nicht gemacht. Aber dann war das Ganze ohnehin anders gekommen. Pater Dom hatte für Jesse ein kleines, aber feines Appartement gefunden und kümmerte sich jetzt um einen Job für ihn. College stand für später auf dem Plan, er musste erst mal die Eignungsprüfung ablegen.
Der Winterball fand im Hof der Mission statt, der für diesen Anlass in eine Mondscheinoase verwandelt worden war. Jede Palme war mit Lichterketten dekoriert und im Brunnen waren Lampen mit Farbfolien überklebt worden.
Als Pater Dom uns vor der Mission über den Weg lief, tat er so, als träfe er Jesse zum ersten Mal in seinem Leben. Ein Schauspiel, das allein für Schwester Ernestine aufgeführt wurde, die ganz in der Nähe stand.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er und schüttelte Jesse die Hand.
Jesse konnte nicht anders und grinste. »Gleichfalls, Pater.«
Schwester Ernestine warf einen leicht missgünstigen Blick auf mein Kleid – ich war mir sicher, dass sie mich eher in etwas Bauchfreiem erwartet hatte, nicht in diesem sehr schlichten Jessica McClintock Outfit. Dann trollte sie sich. Pater Dominic konnte endlich wieder ungezwungen sprechen. »Gute Neuigkeiten, Jesse. Ich habe einen Job für Sie gefunden.«
»Wirklich? Was denn? Wann kann ich anfangen?«
»Gleich Montag. Es gibt nicht viel Geld, aber ich glaube, dass Sie eine einzigartige Qualifikation für diesen Beruf mitbringen: Sie fangen als Museumsführer im Geschichtsmuseum an. Natürlich nur, wenn Sie sich das vorstellen können. Also zumindest für die Zeit bis zu Ihrem Medizinstudium.«
Jesse schaffte es tatsächlich, mit seinem Grinsen noch den Mond zu überstrahlen.
»Ich denke, das wäre absolut was für mich«, sagte er.
»Hervorragend!« Pater Dominic schob sich die Brille höher auf die Nase und lächelte uns an. »Dann macht euch mal einen schönen Abend, Kinder.«
Jesse und ich versprachen, unser Bestes zu geben, und gingen zum eigentlichen Ball hinüber.
Der »Ball« war natürlich kein rauschendes Fest wie aus dem 19. Jahrhundert, aber schon ganz in Ordnung. Es gab Punsch und Kekse und, wie auf jeder Schulveranstaltung, ein paar Aufpasser, damit es nicht zu heiß herging. Gut, ein DJ und eine Nebelmaschine waren auch noch da. Jesse schien sich zu amüsieren. Vor allem als CeeCee und Adam zu uns stießen und er die beiden kennenlernen konnte. »Ich habe schon eine Menge über euch gehört.«
Adam, der bisher von Jesses Existenz noch gar nichts gewusst hatte, blickte mürrisch drein. »Kann nicht behaupten, dass das auf Gegenseitigkeit beruht«, sagte er. CeeCee hingegen wurde sofort weiß wie ihr Kleid, als ich Jesses Namen erwähnte. Sie war sehr viel erfreuter. Um nicht zu sagen, angetan.
»Aber … aber …«, stammelte sie und sah zwischen Jesse und mir hin und her. »Du bist doch … bist du nicht …?«
»Nicht mehr«, sagte ich. Sie wirkte immer noch perplex, brachte aber ein Lächeln zustande.
»Na dann …«, sagte sie, und schließlich mit etwas mehr Enthusiasmus: »Na bitte! Das ist doch großartig!«
Ein Stück weiter hinten sah ich ihre Tante stehen, die sich mit Mr Walden unterhielt.
»Was macht die denn hier?«, fragte ich CeeCee.
Adam lachte und kam CeeCee mit der Antwort zuvor. »Mr Walden ist einer der Aufpasser. Und er hat sie als Date mitgebracht.«
»Das ist kein Date«, widersprach CeeCee. »Die beiden sind nur Freunde.«
»Ja, klar«, feixte Adam.
»Suze?« CeeCee zog sich ihr Seidentuch über die nackten Schultern. »Ich müsste mal kurz wohin, begleitest du mich?«
»Ich bin gleich zurück«, sagte ich zu Jesse.
»Wie …«, begann CeeCee sofort, als wir im Waschraum der Mädchentoilette angekommen waren.
Zu mehr kam sie nicht. Eine Gruppe kichernder Neuntklässlerinnen stolperte durch die Tür und besetzte die Spiegel und Waschtische, um sich die Haare zu richten.
»Das erzähl ich dir irgendwann mal ausführlich«, entgegnete ich lachend.
»Versprochen?«
»Aber nur, wenn du mir sagst, wie es mit Adam läuft.«
Seufzend schaute CeeCee ihr
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