Unschuldig
Vorspann
E r wusste, dass sie total auf seine Cocktails abfuhr. Heute hatte er ein paar Kirsch-Minze-Daiquiris für sie vorbereitet: Eiswürfel, dunklen kubanischen Rum, Kirschsirup und Limettensaft. Ein paar frische Kirschen und Minzblätter hatte er in einen Shaker gegeben und dreißig Sekunden geschüttelt. Nicht gerührt. Er würde den Cocktail filmreif servieren, eiskalt in einem Martiniglas, dekoriert mit einer Kirsche und einem Minzblatt. Der Drink hatte das gleiche Rot wie ihre Kostümjacke. Oder wie ihr Blut, das sich schon bald auf ihrer weißen Bluse ausbreiten würde.
Drehschluss war laut Dispo – dem für alle Beteiligten verbindlichen Tagesplan – auf 18.30 Uhr festgesetzt gewesen. Im Anschluss sollte es noch eine Besprechung im Produktionsbüro geben, an der sie teilnehmen musste. Die müsste inzwischen längst zu Ende sein, dachte er mit einem Blick auf das Display seines Handys. Fast sechs Stunden lang hatte er sich seit dem Nachmittag für seinen Auftritt auf der Toilette verstecken müssen.
Sie war eine der erfolgreichsten Filmproduzentinnen im Lande, was nach ihrem schäbigen Start wohl niemand vermutet hätte. Eine souveräne und schöne Frau. Er hatte ihre Projekte all die Jahre über aus der Ferne verfolgt. Er wusste alles über sie.
Das Auffallendste an ihr waren ihre großen türkisblauen Augen, wach, intelligent und strahlend. Es würde ihm eine tiefe Befriedigung sein, sie herauszuschneiden und dabei zu beobachten, wie das Blut ihr wie Ströme von Tränen über die bleichen Wangen lief.
Er nahm an, dass sie bereits vorn im Restaurant saß. Sie liebte die Atmosphäre auf dem Filmset nach Drehschluss. Hier konnte sie sich am besten auf den kommenden Tag vorbereiten. Kein Laut drang nach hinten in die Küche und die Wirtschaftsräume. Wahrscheinlich machte sie sich Notizen. Keine Anrufe.
Er nahm das Tablett, das an der Wand lehnte, holte den Cocktail aus der Kühlbox, öffnete vorsichtig die Toilettentür und ging über den Flur. Plötzlich hörte er Geräusche aus dem Restaurant. Es waren keine Stimmen, die sich unterhielten, das war irgendetwas anderes. Er stellte das Tablett ein paar Schritte entfernt auf einer improvisierten Frisierkommode ab, ging leise wieder zur Tür zurück, öffnete sie einen Spaltbreit und spähte hinaus.
Was er sah, überraschte ihn nicht. Sie lag auf einem der Tische, den grauen engen Rock hochgeschoben, die schlanken Beine mit den schwarzen High Heels in die Luft gestreckt. Dazwischen stand breitbeinig Nummer vier und vögelte sie. Nummer vier auf seiner Liste. Die heruntergezogene Jeans hing ihm auf Höhe der Kniekehlen. Beide stöhnten laut. Sie hatte dabei die Augen geschlossen.
Leise entfernte er sich wieder von der Tür, nahm den Cocktail und ging zurück zur Toilette. Er wartete weitere zehn Minuten, ging dann erneut in Richtung Restaurant und sah Lea nun durch den Türspalt allein und mit dem Rücken zu ihm an demselben Tisch sitzen, auf dem sie gerade noch gelegen hatte. Ihr mit Swarovski-Kristallen verziertes Handy war aufgeklappt, ein paar Notizzettel lagen ausgebreitet daneben.
Mit der Haltung eines galanten Kellners aus einer Schmonzette, der der bildschönen Protagonistin ihr Lieblingsgetränk serviert, räusperte er sich leicht, als er keine drei Meter von ihr entfernt stand.
Überrascht schaute sie auf: »Oh, hallo! Was machst du denn so spät noch hier?«
»Wir hatten draußen noch zu tun.« Er verbeugte sich lächelnd, nahm das Glas vom Tablett und stellte es neben ihr Handy. »Kirsch-Minze-Daiquiri. «
Sie nahm das Glas, schnupperte daran und strahlte ihn aus ihren schönen Augen an. »Wo bekommst du nur immer diesen köstlichen Rum her?«
Ihre Worte klangen ein wenig verwaschen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie schon einiges intus hatte. Sonst hätte sie sich bestimmt auch darüber beschwert, dass das Eis bereits geschmolzen und der Drink zu warm war. Gierig und mit russischem Schwung schüttete sie die Flüssigkeit hinunter. »Setz dich doch zu mir«, sagte sie mit einer einladenden Geste und hängte ihre rote Kostümjacke über die Stuhllehne. »Ich stelle gerade eine Liste meiner Lieblingsfilme zusammen, die ich Möller empfehlen möchte. Was ist denn dein Lieblingsfilm?«
»Wollen Sie noch einen Cocktail?«
»Warum nicht?«
Er kredenzte ihr einen weiteren Drink aus seiner Kühlbox, setzte sich dann auf den Stuhl neben ihr und erzählte von den Filmen, die er immer wieder gesehen hatte und die er so sehr
Weitere Kostenlose Bücher