Sweet about me
Geschenk für Michelle, entschied mich für silberne Ohrringe mit leuchtend grünen Steinen. Die Verkäuferin machte mit Schleifen, Federn, Gold- und Silberstaub aus der Verpackung ein Kunstwerk. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, obwohl andere Kunden ihre Ungeduld zeigten. Ich verliebte mich ein bisschen in die unscheinbare Frau mit der geröteten Schnupfennase.
Als ich zurück nach Hause kam, war der Container vor dem Haus halb voll. Ein Durcheinander aus Jazz-Schallplatten, Porzellan und Weingläsern, gerahmten Fotografien von venezianischen Gondeln und Palästen. Um mehr Platz zu schaffen, schlugen zwei Männer mit Spalthämmern Frau Hauensteins Wohnzimmerschrank kurz und klein. Tom stand dabei, gab fachkundige Tipps und bot heißen Kaffee an. Dafür, dass er mich nicht beachtete, mich nicht mit seinem verwahrlosten Grinsen belangte, war ich ihm beinahe dankbar.
Ich rannte die Treppe hoch. Die Tür zu Frau Hauensteins Wohnung war ausgehängt. Die Frau, die in Schubladen stöberte, musste Gaby sein, die Tochter. Sie war etwas fülliger als auf dem Foto, das ihre Mutter mir gezeigt hatte. Statt Hippieklamotten trug sie einen schicken Hosenanzug.
» Was machen Sie da?«, rief ich. » Ist sie – ist Frau Hauenstein – gestorben?«
» Nein, keine Sorge«, sagte die Frau und lächelte offensiv wie für einen Werbeprospekt. » Mutti ist seit gestern in einem Pflegeheim. In der Villa Sonnenschein. Ist das nicht ein schöner Name?«
» Naja, ehrlich gesagt …«
» Doch, doch! In Muttis neuem Zuhause würde ich auch gern meine letzten Tage verbringen! Hier hätte sie doch keinen Tag länger bleiben können. War ja ganz ausgetrocknet und verwirrt, die Arme!«
» Hört sich nach einer Verwechslung an. Sprechen Sie von Frau Hauenstein? Ilse Hauenstein?«
Chet Bakers Tochter lächelte meinen Einwand einfach weg.
» Sie sind bestimmt der nette Nachbar, von dem Mutti immer so geschwärmt hat.«
Sie griff in die Innentasche ihres Nadelstreifenjacketts, zog ein Kärtchen mit der Adresse der Villa Sonnenschein heraus.
» Mutti würde sich bestimmt freuen, wenn Sie sie einmal besuchen würden. Aber erst in ein paar Wochen, wenn sie sich in der neuen Umgebung eingelebt hat, ja? Und, bitte, keine Zigaretten und keinen Alkohol mitbringen.«
» Soll die Blumenvase auch weg?«, fragte einer der beiden Arbeiter. » Die ist doch so schön und groß.«
» Alles, alles«, sagte die Tochter in einem veränderten, schneidenden Ton. » Weg mit dem nikotinvergifteten Dreckszeug!«
Es läutete. Einen Moment lang hoffte ich, Betty käme zurück und alles würde gut. Aber es war nur der Briefträger. Er reichte mir ein Päckchen, das zu sperrig für unseren Postkasten war, und einen Brief.
» Tag noch«, sagte der Briefträger und nieste zweimal.
Ich schloss die Tür. Der Brief kam aus Berlin. Gerster hatte ihn geschrieben. Als Adresse hatte er die Anschrift des Rolling Stone angegeben. Mein Herz machte Radau. Gerster war wieder im Geschäft!
» Große Veränderungen«, schrieb er. » Musste mich erst mal neu sortieren, daher die Sendepause. Aber jetzt läuft alles top!« Und dass er sich in den nächsten Tagen telefonisch bei mir melden würde. Er habe einige gut, nein: sehr gut bezahlte Aufträge für mich. Der Brief fiel mir aus der Hand. Er landete auf dem neuen, unbezahlten Teppichboden.
Ich hörte, wie Heike und Tom hämisch lachten. Kurz darauf fing die Musik wieder an. Sweet About Me, Nothing Sweet About Me, Yeah. Nach zwölf Tagen auf der Intensivstation war Maya auf ein Zweibettzimmer verlegt worden. Anfangs konnten Betty und ich abwechselnd im zweiten Bett übernachten, aber dann wurde es von Frau Evers, einer deutschen Touristin, belegt, die über Kreislaufprobleme klagte. Frau Evers hatte zwei anstrengende Kinder und einen Mann, der sich, wie Gerster, chronisch räusperte.
Maya war nach der Operation noch nicht wieder aufgewacht. Der Kopfverband ließ nur einen Teil ihres Gesichts frei. Sie lebte von Infusionen und Brei, den sie über einen Nasenschlauch erhielt. Betty und ich lernten das Füttern mit der Breispritze schnell.
Sweet About Me. Die Wände im holländischen Krankenhaus waren bunt, es roch auch nicht so stark nach Suppe und Angst wie in den deutschen Kliniken, die ich kannte. Die Krankenschwestern lachten viel, als habe der Tod hier keinen Zutritt. Zwei Spezialisten aus Utrecht hatten Maya operiert, sie waren mit dem Hubschrauber eingeflogen worden.
Weil sie vielleicht unsere Stimme hören
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