Swinger

Zeitpunkt dafür ist: schließlich sind sie auf einer ganz normalen Party mit Familie und Freunden. Die Dorfkneipe ist voll mit Menschen; an einer Wand wurde ein Buffet aufgestellt, und über der Bar hängt ein Banner mit der Aufschrift: „Alles Gute zum Vierzigsten!“ Sam und Sandra müssen laut reden, um die Band zu übertönen, die sich gerade einstimmt.
    Sandra spielt das bockige Geburtstagskind, runzelt die Stirn und tut so, als ob sie gleich einen Wutanfall bekäme. Dann sagt sie: „Mein Geburtstag ist
heute
und ich will meine Überraschung
jetzt
.“
    Eine Verwandte in der Nähe kichert. Höchst wahrscheinlich ist es Tante Caroline. Nach zwei Gin Tonics kichert sie über alles. Sandras beste Freundin Linda murmelt darüber, dass Sandra sich offenbar wieder zu einem Kleinkind entwickelt, nun, da sie vierzig ist. Obwohl die Bemerkung barsch klingt, weiß Sandra, dass sie nicht ernst gemeint ist.
    „Du kannst dein Geschenk jetzt noch nicht haben“, erklärt Sam. Er spricht im selben Tonfall mit ihr, mit dem man einem trotzigen Kind erklären würde, dass sie ein bestimmtes Spiel für die Playstation noch nicht haben dürfen. „Deine Überraschung ist für
nächstes
Wochenende geplant.“
    „Das ist so unfair!“, protestiert Sandra.
    Sam zieht eine Augenbraue hoch und wirft einen Blick auf ihre Kinder. Sie sitzen geduldig bei ihren Großeltern und verursachen ausnahmsweise nicht das Chaos, das seine Schläfen frühzeitig ergrauen ließ. „Glaubst du, du bist ein gutes Vorbild für unseren Nachwuchs?“
    „Ich hab dieses Verhalten von ihnen gelernt“, erwidert Sandra.
    Ihre humorvolle Bemerkung bricht die Anspannung, die sich aufgebaut hat. Wie aufs Stichwort beginnen ihre Kind laut zu jammern. Sie scheinen die böse Bemerkung ihrer Mutter mitbekommen zu haben. Alle Zeugen dieser Szene müssen lachen, und danach nimmt die gewohnte Konversation weiter ihren Gang. Die Band nutzt die Gelegenheit, um ihre Anlage zu starten. Die Leute im Pub werden still, als Sandras liebste Rockballade erklingt: Aerosmiths
Don’t Want to Miss a Thing
. Sam und Sandra umarmen sich und begeben sich zur Tanzfläche. Während sie sich langsam tanzend aneinander schmiegen, drückt sie ihre Lippen zu seinem Ohr und fragt: „Ist es die selbe Art von Überraschung wie letztes Jahr?“
    „Damit würde ich es dir ja verraten“, murmelt er. „Aber die Antwort auf deine Frage ist ja.“
    Er fühlt, wie ein Zittern durch ihren Körper läuft. Und sie beide wissen, dass es von einem Nervenkitzel, von sexueller Erregung ausgelöst wurde.
    „Diesen Dezember sind wir fünfzehn Jahre verheiratet“, erklärt Sam. Er ist 45, kleidet sich wie eine Führungskraft mit Anzug, Kragen und Krawatte, und das silberne Haar an seinen Schläfen lässt ihn irgendwie wichtig und distinguiert wirken.
    Sandra erzählt: „Wir fingen nach fünf Jahren Ehe an, über Swinging zu sprechen.“ Sandra ist, wie man bereits erfahren hat, soeben vierzig geworden, trägt Jeans und ein großes England-Sweatshirt. Sie sieht aus, als ob sie gerade auf dem Weg wäre, die Kinder von der Schule abzuholen. Sie hat ihr blondes Haar zu einem schnellen Pferdeschwanz zusammengebunden. Trotzdem strahlt sie eine natürliche Eleganz aus. „Aber es hat noch einmal fünf Jahre gedauert, bis unsere Bindung eng genug war, dass wir es auch tatsächlich versucht haben.
    Sam erzählt weiter. „Zuerst haben wir es mit Chiffre-Anzeigen probiert.“
    „Unsere lautete: ‚abenteuerlustiges Paar sucht Gleichgesinnte’“, verkündet Sandra stolz.
    „Und wir haben einige interessante Leute getroffen“, schließt Sam.
    „Dann haben wir auch ein paar Clubs und Partys besucht“, fährt Sandra fort. „Das war auch ganz witzig.“
    „Aber die größte Hürde für uns“, erklärt Sam, „ist die Zeiteinteilung“.
    „Was er meint ist“, führt Sandra aus, „dass es für uns immer schwierig ist, Zeit zum Swingen zu finden. Wir müssen beide arbeiten, und dann wollen wir auch etwas mit den Kindern unternehmen und uns mit der Familie und nicht swingenden Freunden treffen.“
    Sie erzählen, dass die Idee zum Swingen aus der Diskussion darüber hervorging, wie sie das gewisse Etwas in ihrem Sexleben aufrechterhalten könnten. Nachdem sie alle unterschiedlichen Stellungen ausprobiert hatten, die man nur einnehmen konnte, und auch die üblichen Tipps von Sexratgebern befolgt hatten, wie Reizwäsche, Massagen und andere Überraschungen, schlug Sam vor, sie sollten mal einen Partnertausch