Tablettenfee
Handys.
›KLACK!‹ Schnibbi hob ab und quengelte gleich los.
»Alter! Es ist mitten in der Nacht!«
Schnibbi hieß logischerweise nicht wirklich so. Klar, nicht mal Frau Krause hätte es seinerzeit übers Herz gebracht, Paul – so hieß Schnibbi mit bürgerlichem Namen – auf den Namen Schnibbi Krause zu taufen. Schnibbi hatte es so schon schwer genug gehabt. Mit dem Namen? Gar nicht auszumalen … Schon in der Schule war Schnibbi in der Rolle des Opfers gewesen, denn Schnibbi war ein Muttersöhnchen, wie man es sich vorstellte. Daran hatte sich bis heute nicht viel geändert. Schnibbi wohnte auch heute immer noch bei seiner Mutter. Grundsätzlich war er ein netter Kerl, gleichzeitig aber war Paul Krause eben auch eines der größten Muttersöhnchen, die er kannte. Während andere Jungs Samstag am Abend auf Partys gingen, Mädels klarmachten oder mit Freunden ihre Zeit verbrachten – ging Schnibbi mit seiner Mutter zum Pizzaessen oder begleitete sie ins Casino. Klar war Familienleben schön, aber so wie Schnibbi das lebte, war es zum Kotzen.
Bis heute war Udo nicht wirklich klar, ob es Schnibbi aus purer Zuneigung und Liebe zu seiner Mutter tat, oder ob die in den darauf folgenden Wochen stattfindenden Einkaufssamstage der Grund dafür waren, warum es zu diesen Samstagabenden kam. Denn an diesen Samstagen kleidete Frau Krause ihren über dreißigjährigen Sohn stets auf ihre Kosten ein. Nur das Feinste vom Feinsten, und nur das Teuerste vom Teuersten. Schließlich ging es um ihr Junges. Da war das Teuerste gerade gut genug. Wenn Schnibbi dann endlich mal ohne Mutti unterwegs war, wurden die neuen Trophäen vorgeführt. Stolz wie der Bauer ums Eck, der seinen Zuchtstier präsentierte. Unwahrscheinlich, aber Schnibbi hatte auch noch den Mut sich darauf etwas einzubilden. An solchen Abenden ließ Schnibbi immer so richtig den Kotzbrocken raushängen. Aber egal – unterm Strich war er in Ordnung. In Summe passte es. In Summe war er ein Freund. Und eben war er am Telefon.
»Alter. Spinnst du? Was ist los …?«, röhrte es aus dem Handy.
»Schnibbi! Hier is der Udo.«
»Ach ne? War klar. Erstens steht es am Display und zweitens ruft mich außer dir eh keiner an – zumindest fix nicht am Sonntag zu Mittag. Was bist du denn so aufgeregt? Hast du im Lotto gewonnen?«
»So ähnlich ….«, gluckste Udo.
»Wir zwei waren doch gestern zusammen fort, oder? Wir waren gestern im BOND – oder?«
»Jub.«
»Kennst du eine Bianca?«
»Hä?? Bianca. Nein. Wer soll das sein …?«
Udo knickte zusammen. Er hatte so sehr gehofft von Schnibbi mehr zu erfahren als eben von der dicken Ettmann. Ein Strohhalm, an den er sich klammerte und der sich nun als keine Rettung erwies. Naja, andererseits, wie soll diese Bianca wirklich so der Renner gewesen sein, wenn Udo sich nicht mal zwölf Stunden später an sie erinnern konnte? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass die Kopfschmerzen immer noch da waren. Danke, Hansi.
Schnibbi fuhr fort: »Eine Bianca kenn ich nicht, aber …«
Aber? Udo zuckte zusammen. Ein kluger Mensch hatte mal zu ihm gesagt, dass der Teil eines Satzes, der vor einem ›Aber‹ steht, mit dem Aussprechen dieses Wortes sofort zu verwerfen ist, weil ein ›Aber‹ jegliche Aussage von vorher für nichtig erklärt. Wie hatte diese Person damals gesagt? »…ois wos vor an ›oba‹ is, is oarsch.«
Im Moment war das jedoch egal. War das seine Chance? Wusste Schnibbi doch etwas über Bianca?
»Sag schon, was ›aber‹ …?«
»Aber es könnte sein, dass die, die du gestern in Arbeit gehabt hast, als ich nach Hause bin, Bianca heißt. Ich hab keine Ahnung, aber das könnte zumindest der Fall sein«, näselte Schnibbi.
Udo fiel ein, dass Schnibbi sich gestern um Mitternacht verabschiedet hatte, nachdem ein betrunkener Gast aus dem BOND seinen Pina-Colada auf Schnibbis neue – wahrlich hart erarbeitete – Designer-Jeans gegossen hatte. Schnibbi war stinksauer, aber er roch lecker nach Kokos. Für Sonntag am Abend stand wieder Kino mit Muttern am Programm, von daher wollte er eh früher gehen. Klar, dass er da ausgeschlafen sein wollte. Allerdings in diesem Fall verstand er ihn sogar. Die Jeans waren echt geile Teile, die waren maßgefertigt. ›Gebrüder Stitch‹
Udo hatte sich deren Seite auch schon einmal im Internet näher betrachtet, weil er eigentlich auch so eine wollte. Schnibbi sprach immer von seiner Surfer-Jean, weil er sich als Innenfutter so einen Stoff mit Wellenmuster ausgesucht hatte.
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