Tag der Vergeltung
wollte, dass Adi dort hineinmarschierte und mit dem Finger auf ihn deutete. Prompt. Ohne Zögern, ohne Anspannung. Eine Minute später wäre sie wieder draußen. Und es wäre vorbei. Schließlich und endlich vorbei.
5
Kriminalkommissar Eli Nachum hasste Reporter. Insbesondere Kriminalreporter. Und vor allem Nervensägen wie Amit Giladi. Ginge es nach ihm, würde er kein Wort mit ihm wechseln. Nur war seit der Vergewaltigung im alten Norden Tel Avivs bereits ein Monat ins Land gegangen, und er hatte nicht das Geringste in der Hand. Anders als die überregionalen Medien, die in den ersten Tagen Interesse an der Vergewaltigung gezeigt, sich dann aber anderen Storys zugewandt hatten, hatte die Lokalzeitung sich in den Fall verbissen. Woche für Woche druckte sie Meldungen über die Ermittlungen, die keinerlei Fortschritt machten, über die Ohnmacht der Polizei und sein Scheitern als leitender Kriminalkommissar in diesem Fall. Dieser Kreuzzug war für ihn nichts anderes als Ausdruck der Arbeit eines Boulevardblatts, ein erbärmlicher Weg, Zeitungen zu verkaufen; doch er setzte die Zentrale unter Druck, und wenn die in der Zentrale unter Druck gerieten, gaben sie den eben an ihn weiter.
Deswegen hatte er missmutig reagiert, als der Chef der Polizeipressestelle ihm aufgetragen hatte, Giladi am Freitag zu treffen. Er hatte sich diesem Journalisten eine geschlagene Stunde gestellt, sich seine Fragen angehört, die ihm zusetzten, und versucht, ihn davon zu überzeugen, dass – auch wenn er einen anderen Eindruck habe – sie durchaus Fortschritte machten und der Fall ständig gegenwärtig sei. Was verstand diese Nervensäge schon davon? Knapp über zwanzig – ein Jüngelchen, das Mann spielte. Machte einen auf ernste Miene, schwang seinen Stift wie ein Schwert und hatte diesen überheblichen Ton am Leib. Nicht fünf Minuten wäre diese Null dem Polizeidienst gewachsen.
Nun sah er Giladi nach, der sich auf dem Gang entfernte, und kehrte zurück an seinen Schreibtisch. Entnervt.
Erst vor drei Jahren waren sie hierhergezogen. Die Polizei war auf ein Facelifting aus gewesen. Daher saßen sie nun hier, umgeben von Tel Avivs Hightech-Firmen. Auf dem alten Polizeirevier hatte er sich wesentlich wohler gefühlt. Das baufällige Gebäude, von dem der Putz bröckelte, stand schon länger als der Staat, jeder Raum verströmte Geschichte. Er vermisste die kleinen Imbissläden in der Umgebung, deren scharfes Essen seinen Verstand auf Trab gehalten hatte. Hier war alles modernisiert, computerisiert, Plasma-Bildschirme, wo man nur hinsah, statt traditioneller hausgemachter Küche gab es Sushi. Die Polizei versuchte etwas darzustellen, das sie nicht war.
Er glaubte nicht, dass er den jungen Journalisten überzeugt hatte. Wurde ein Verbrecher nicht im Handumdrehen überführt, so die allgemeine Auffassung, ließ die Polizei die Ermittlungen schleifen. Dabei wurde übersehen, wie schwer mancher komplexe Fall zu knacken war. In Krimis war nach neunzig Minuten alles vorbei, wieso also nicht im richtigen Leben?
Zumindest bei einer Sache war er ehrlich zu Giladi gewesen: Seit dem Moment, als er mit Adi Regevs Fall beauftragt worden war, ließ er ihm keine Ruhe.
Er war ins Krankenhaus gefahren, um Adi zu vernehmen, unmittelbar nachdem sie ihn über den Vorfall informiert hatten. Ihre rechte Gesichtshälfte war mit Blutergüssen übersät gewesen, da sie über den Erdboden geschleift worden war. Der tiefe Schnitt, den der Täter ihr unter dem Kinn zugefügt hatte, war genäht worden. Die Augen waren vom vielen Weinen geschwollen gewesen. In sich gekehrt hatte sie vor ihm gesessen. Nur äußerst schwer hatte er aus ihr herausholen können, was genau passiert war. Auf die meisten seiner Fragen reagierte sie mit einem Kopfnicken oder Schulterzucken, spielte dabei wie ein kleines Mädchen mit den Haarspitzen. Sie hatte nicht hierherkommen wollen. Daraus machte sie keinen Hehl. Ihr Vater hatte die gesamte Vernehmung über neben ihr gesessen und versucht, sie dazu zu bringen, die Fragen zu beantworten. Die Mutter hatte nur den Arm um die Tochter gelegt und kein Wort von sich gegeben.
* * *
Er war schon viele Jahre bei der Polizei. Während der Armeezeit war er im Militärgefängnis bei Atlit als Wärter eingesetzt gewesen. Nach dem Militärdienst hatte er unbedingt zur Polizei gewollt. Zunächst hatte er eine Stelle in der Einsatzmittelverwaltung bekommen, er setzte jedoch alles daran, Ermittlungsbeamter zu werden. Immer wieder bewarb er sich
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