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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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schriftstellerische Arbeit behandelt eine Begebenheit aus Berlin: »Als der Krieg zu Ende war«, ein Schauspiel, das eben jetzt in den Händen der Freunde liegt.

Paris, Juli 1948
    Daß die Zeit, wo europäische Völker sich um die Weltherrschaft streiten konnten, vorbei ist, wußten wohl die meisten, bevor der Zweite Weltkrieg es offensichtlich gemacht hat. In diesem Sinn hat Europa zu Ende gespielt, und der Europäer, der sich nach Weltmacht sehnt, muß allerdings der Verzweiflung anheimfallen oder der Lächerlichkeit, ähnlich den Napoleons in den Irrenhäusern. Das entdeckte Amerika, das sich nunmehr auch noch selber entdeckt, und das erweckte Rußland, von China vorläufig zu schweigen, das sind nun einfach Kolosse, denen Europa nicht mehr beikommt. Napoleon hatte noch einige Hoffnung, Rußland in den Sack zu stecken, nämlich das Rußland seiner Zeit. Und schon das ging nicht. Er versiegte sich. Was aber Hitler versucht hat, ist Unsinn von vornherein; denn zum Größenmäßigen, das ihn schon hätte warnen müssen, wäre es nicht eine besonders deutsche Versuchung, Mut und Maßlosigkeit zu verwechseln, ist ja noch ein anderes hinzu gekommen: die Kolosse sind in die Schule gegangen. Ich sitze eben in Saint Michel, unweit der Sorbonne, umgeben von allerlei Studenten und Studentinnen, darunter viel Farbige, Schwarze, Braune, Gelbe, wovon manche herrlich anzusehen sind, sie kleiden sich natürlichwie die Pariser, sprechen französisch wie eine angeborene Sprache; aber eines Tages, wenn sie das Nötige gelernt haben, werden sie, Paris nicht ohne Wehmut verlassend, zurückfahren in ihre Welten, zurück zu ihren schwarzen oder braunen oder gelben Geschwistern. Das ist die natürliche Folge jeder langen Herrschaft, auch der abendländischen, daß sie ihre Waffen langsam aus der Hand gibt. Durch Errungenschaften vieler Art, die europäisch gewesen sind, hat die Welt, von Europäern beherrscht, sich in einer Weise verändert, die eben dieses alte Europa, dank der Ausfuhr seiner Errungenschaften, ein für allemal aus dem Rennen geworfen hat. Nicht nur größenmäßig, wie es jeder auch nur flüchtige Blick auf einen Globus zeigt! Entscheidend ist, daß Europa für die Dinge, die es ausmachen, einen Preis hat bezahlen müssen, den jene entdeckten und erweckten Kolosse nicht übernehmen, einen Preis an Geschichte, an Blut, an Lebenskraft. Das ist wohl immer so. Es kostet Kraft, die Welt zu erforschen, zu erfahren, zu erwecken. Eine Erfindung machen oder eine Erfindung benutzen, sie allenfalls ausbauen und erweitern und auf neue Arten anwenden; eine Lehre stiften oder eine Lehre begreifen, ergreifen, das ist zweierlei, beides wertvoll, doch zweierlei an Ausgabe schöpferischer Kräfte. Auch wer es nicht erfunden hat, kann mit dem Flugzeug fliegen; er lernt die Griffe, die bereits vorhanden sind, und hat nicht jahrhundertelang ins Leere gegriffen. Die ganze Fliegerei, im grundsätzlichen einmal erfunden, kostet ihn nichts als Benzin und Öl, Arbeit, Intelligenz, aber keine Historie, keine vitale Substanz, und bald fliegt er besser als der Erfinder: denn er fliegt mit jüngeren Nerven. Zum Beispiel mit russischen oder amerikanischen Nerven. Im zweiten Schauspiel von Thornton Wilder gibt es eine Stelle, die den Vorgang unübertrefflich veranschaulicht; Mister Antrobus, der Vater, hat soeben das Rad erfunden, das Rad an sich, und kaum hat der Junge eine Minute damit gespielt, macht er dem Vater einen Vorschlag: Papa, da könnte man einen Sessel darauf stellen! Der Vater erfindet, der Sohn wird die Erfindung »besitzen«. Ja, brüllt Mister Antrobus, jetzt kann jeder Idiot damit herumspielen, aber ich hatte als erster die Idee! Es handelt sich weniger um eineRangordnung, glaube ich, sondern um einen Vorgang, einen Ablauf. Die jüngeren Nerven, der Mangel an geschichtlicher Erfahrung, an Skepsis, das sind natürlich die Voraussetzungen, wenn man das väterliche Rad besitzen und damit die Welt beherrschen will. Mangel an Skepsis, Mangel an Ironie, das ist es ja auch, was uns an ihrer Physiognomie zuerst befremdet. In Paris habe ich mehrmals bemerkt, daß hier die Deutschen, die Unterdrücker von gestern, minder verhaßt sind als die Amerikaner, die Befreier, was nichts für die Unterdrückung und nichts gegen die Befreiung sagt, sondern einzig und allein, glaube ich, jenes Befremden ausdrückt: die Deutschen waren trotz allem Europäer. Die Athener und Alexander der Große, als dieser die Welt beherrschte, haben sich vielleicht

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