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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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nicht anders gegenübergestanden; den Athenern fiel es jedoch nicht ein, sich gegen die Weltherrschaft (die Perikles nie gewollt hat) bis zum letzten Blutstropfen zu wehren. Wozu? Es genügte ihnen, daß das Beste, was der junge Alexander in der Welt verbreiten konnte, Früchte griechischen Geistes waren, das Beste, das Lebendige von Hellas, das nicht nur die Weltherrschaft von Alexander, sondern noch eine ganze Reihe von Weltherrschaften überdauert hat –
    Was Europa zu hoffen hat:
    Zu sein, was Griechenland ist unter Alexander, was Italien ist für Europa, das zu werden für die Welt von morgen.
     
    Was hat Europa zu fürchten?
    Daß eines seiner großen Völker, das zur Zeit der europäischen Weltmacht nie zum Zuge gekommen ist, immer noch von Weltmacht träumt: – Deutschland, dem es beinahe schon gelungen ist, Europa zugrunde zu richten im Bestand seiner Menschen und Werke, jenes Europa, das jenseits der Weltherrschaft einen höchsten Sinn haben könnte, eine Blüte, eine Reife, eine Ausstrahlung –

Letzigraben
    Jetzt überall die Zimmerarbeit. Die Sparren sind verlegt, es sieht herrlich aus: das Gitterwerk von rohem Holz, darüber der blaue Himmel, tagelang die hallenden Schläge, wenn sie die Schalungen nageln, Hobelspäne, Sägemehl, Lastwagen mit neuem Gebälk; es ist unwahrscheinlich, daß ich wieder einmal so viel Zimmerarbeit habe, und ich genieße es richtig, gehe länger umher als nötig; es ist mir am ganzen Bauen eigentlich das liebste: Rohbau, bevor die Dächer gedeckt sind. Backstein und Holz, lauter Räume voll Himmel, den man durch alle Stockwerke sieht, der Kubus ist zum erstenmal da, aber durchsichtig, und der Raum, wo ich jetzt stehe, hat zum letztenmal die Sonne, zum letztenmal mindestens für Jahrzehnte. Über meinem Kopf arbeiten sie bereits an der Schalung, stoßen Brett an Brett …

Brecht
    Der Umgang mit Brecht, anstrengend wie wohl jeder Umgang mit einem Überlegenen, dauert nun ein halbes Jahr, und die Versuchung, solchem Umgang einfach auszuweichen, ist manchmal nicht gering. Es ist Brecht, der dann wieder einmal anruft oder auf der Straße, immer freundlich in seiner trockenen und etwas verhaltenen Art, fragt, ob man einen freien Abend habe. Brecht sucht das Gespräch ganz allgemein. Meinerseits habe ich dort, wo Brecht mit seiner Dialektik mattsetzt, am wenigsten von unserem Gespräch; man ist geschlagen, aber nicht überzeugt. Auf dem nächtlichen Heimweg, seine Glossen überdenkend, verliere ich mich nicht selten in einen unwilligen Monolog: Das stimmt ja alles nicht! Erst wenn ich dann ähnliche, ebenso leichtfertige, oft auch gehässige Erledigungen aus dem Mund von Drittpersonen höre, fühle ich mich genötigt, doch wieder nach Herrliberg zu radeln. Die bloße Neugierde, die man einem Berühmten gegenüber empfinden mag, würde auf die Dauer kaum ausreichen, um das Anstrengende dieser Abende, die stets zu einer Begegnungmit den eignen Grenzen führen, auf sich zu nehmen. Die Faszination, die Brecht immer wieder hat, schreibe ich vor allem dem Umstand zu, daß hier ein Leben wirklich vom Denken aus gelebt wird. (Während unser Denken meistens nur eine nachträgliche Rechtfertigung ist; nicht das Lenkende, sondern das Geschleppte.) Einem überragenden Talent gegenüber, was Brecht nebenbei auch ist, im Augenblick wohl das größte in deutscher Sprache, kann man sich durch Bewunderung erwehren; man macht einen Kniefall, wie die Meßknaben vor dem Altar, und die Sache beruht auf sich selbst, man geht weiter. Einer Haltung gegenüber genügt das nicht, und es liegen, gerade weil Brecht in bezug auf seine Person so uneitel ist wie wenige Menschen, ganz andere Ansprüche vor, Ansprüche, die mit Anbiederung nicht zu befriedigen sind; dabei erwartet Brecht wie vielleicht alle, die aus einer selbständigen Haltung leben, gar kein Einverständnis, im Gegenteil, er wartet auf den Widerspruch, ungnädig, wenn der Widerspruch billig ist, und gelangweilt, wenn er gänzlich ausbleibt. Man sieht es dann seinem strengen, bäurisch ruhigen, oft von Schlauheit etwas verschleierten, aber immer wachen Gesicht an, daß er zwar zuhört, auch wenn er es ein Geschwätz findet, sich zum Zuhören nötigt, aber hinter seinen kleinen versteckten Augen wetterleuchtet es von Widersprüchen; sein Blick flackert, die Ungeduld macht ihn eine Weile lang verlegen, dann angriffig, gewitterhaft. Seine Blitze, seine Glossen, gemeint als Herausforderung, die zum wirklichen Gespräch führen soll, zur Entladung

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