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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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trat aber dennoch ein. Rumford saß mit einer Zeitung beim Tisch, sein Fett plagte ihn an diesem heißen Juliabend, er hatte Rock und Weste auf das Kanapee geworfen; sein Hemd
    Einige Beamten des Stadtamtes standen an der steinernen Brüstung eines Rathausfensters und sahen auf den Platz hinunter. Der letzte Teil der Nachhut wartete dort auf den Befehl zum Abzug. Es waren junge große rotwangige Burschen die ihre hin- und herzuckenden Pferde straff im Zügel hielten. Vor ihnen ritten zwei Officiere langsam auf und ab. Sie warteten offenbar auf eine Nachricht. Öfters schickten sie einen Reiter fort, der in größter Eile in einer steil ansteigenden Seitenstraße des Ringsplatzes verschwand. Bisher war keiner zurückgekehrt.
      Zu der Gruppe am Fenster war der Beamte Bruder getreten, ein zwar noch junger aber vollbärtiger Mann. Da er einen höhern Rang hatte und infolge seiner Begabung in besonderem Ansehen stand, verbeugten sich alle höflich und ließen ihn bis zur Brüstung vor. “Das ist also das Ende” sagte er mit dem Blick auf den Platz “es ist ja zu offenbar. ” “Sie glauben also Herr Rat sagte ein junger hochmütiger Mensch, der sich trotz der Ankunft Bruders von seinem Platze nicht weggerührt hatte und nun derart nah an Bruder stand, daß sie einander gar nicht ins Gesicht sehn konnten Sie glauben also daß die Schlacht verloren ist?” Ganz gewiß. Daran ist ja kein Zweifel. Wir sind im Vertrauen gesagt schlecht geführt. Wir müssen verschiedene alte Sünden büßen. Jetzt ist allerdings keine Zeit darüber zu reden, jetzt soll jeder für sich sorgen. Wir sind ja vor der endgiltigen Auflösung. Heute abend können die Gäste schon hier sein. Vielleicht warten sie nicht einmal bis abend sondern sind in einer 1/2 Stunde hier.
    12 VI 14

    Kubin. Gelbliches Gesicht, flach über den Schädel gelagertes weniges Haar, von Zeit zu Zeit angestachelter Glanz in den Augen. Angst wegen der Ansteckung, er hat sie unten geküßt, er sieht sich schon zerfallen, spricht vom “geliebten Weib” dem er dieses Unglück mitbringt. Greift die dümmste Beruhigung selig auf und entwindet sich ihr nach einem Weilchen sehr klug. – Wolfskehl, halb blind, Netzhautablösung, muß sich vor Fall oder Stoß hüten, sonst kann die Linse herausfallen dann ist alles zu Ende. Muß das Buch beim Lesen knapp an die Augen halten und aus dem Augenwinkel die Buchstaben zu erhaschen suchen. War mit Melchior Lechter in Indien, erkrankte an Dysenterie, ißt alles, jedes Obst, das er auf der Straße im Staub liegen sieht. – Pachinger hat einer Leiche einen silbernen Keuschheitsgürtel abgesägt, hat die Arbeiter, welche sie ausgegraben haben, irgendwo in Rumänien, beiseitegeschoben, hat sie mit der Bemerkung beruhigt, daß er hier eine wertlose Kleinigkeit sehe, die er sich als Andenken mitnehmen wolle, hat den Gürtel aufgesägt und vom Gerippe heruntergerissen. Findet er in einer Dorfkirche eine wertvolle Bibel oder ein Bild oder ein Blatt das er haben will, so reißt er, was er will, aus Büchern, von den Wänden, vom Altar, legt als Gegengabe ein 2hellerstück hin und ist beruhigt. – Liebe zu dicken Weibern. Jede Frau, die er hatte, wird photographiert. Stoß von Photographien, den er jedem Besucher zeigt. Sitzt in der einen Sophaecke, der Besucher, von ihm weit entfernt, in der andern. Pachinger sieht kaum hin und weiß doch immer, welche Photographie an der Reihe ist und gibt danach seine Erklärungen: Das war eine alte Witwe, das waren die zwei ungarischen Dienstmädchen u. s. w. – Über Kubin: “Ja, Meister Kubin, Sie sind ja im Aufschwung, in 10 bis 20 Jahren können Sie, wenn es so anhält eine Stellung wie Bayros haben. “
    Brief Dostojewskis an eine Malerin. Das gesellschaftliche Leben geht im Kreis vor sich. Nur die mit einem bestimmten Leiden Behafteten verstehn einander. Sie bilden kraft der Natur ihres Leidens einen Kreis und unterstützen sich. Sie gleiten an den innern Rändern ihres Kreises entlang, lassen einander den Vorrang oder schieben im Gedränge einer sanft den andern. Jeder spricht dem andern zu in der Hoffnung einer Rückwirkung auf sich oder, dann geschieht es leidenschaftlich, im unmittelbaren Genuß dieser Rückwirkung. Jeder hat nur die Erfahrung, die ihm sein Leiden gestattet, trotzdem hört man unter solchen Genossen den Austausch ungeheuerlich verschiedenartiger Erfahrungen. “Du bist so” sagt einer zum andern “statt zu klagen, danke Gott dafür daß Du so bist, denn wärest Du nicht so

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