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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Meinung an. Ich schwanke. Die Hände liegen in meinen Hosentaschen als wären sie hineingefallen und doch wieder so locker, als müßte ich die Taschen nur leicht umklappen und sie fielen wieder schnell heraus.
      Ich hatte das Geschäft geschlossen, die Angestellten, fremde Leute, entfernten sich mit dem Hut in der Hand. Es war ein Abend im Juni, zwar schon 8 Uhr aber noch hell. Ich hatte keine Lust einen Spaziergang zu machen, ich habe niemals Lust spazierenzugehn, aber ich wollte auch nicht nachhause. Als mein letzter Lehrjunge um die Ecke gebogen war, setzte ich mich vor dem geschlossenen Laden auf die Erde.
    Ein Bekannter mit seiner jungen Frau kam vorüber und sah mich auf der Erde sitzen. Sieh wer da sitzt sagte er. Sie blieben stehn und der Mann schüttelte mich ein wenig, trotzdem ich ihn von allem Anfang ruhig ansah. Mein Gott warum sitzen Sie denn hier so fragte die junge Frau. “Ich werde mein Geschäft auflassen sagte ich. Es geht nicht besonders schlecht, auch kann ich meinen Verpflichtungen wenn auch knapp so doch vollständig nachkommen. Aber die Sorgen kann ich nicht ertragen, die Angestellten kann ich nicht beherrschen, mit den Kundschaften kann ich nicht reden. Ich werde sogar schon von morgen ab das Geschäft nicht mehr aufmachen. Es ist alles wohl überlegt. ” Ich sah wie der Mann seine Frau zu beruhigen suchte, indem er ihre Hand zwischen seine beiden Hände nahm.

      “Nun gut” sagte er “Sie wollen Ihr Geschäft aufgeben, Sie sind nicht der Erste, der das tut. Auch wir – er sah zu seiner Frau hinüber – werden, bis unser Vermögen für unsere Bedürfnisse ausreicht – möge es bald sein – nicht weniger zögern als Sie unser Geschäft aufzugeben. Das Geschäft macht uns ebensowenig Vergnügen wie Ihnen, das dürfen Sie uns glauben. Aber warum sitzen Sie auf der Erde”
      Wohin soll ich gehn? sagte ich. Ich wußte natürlich, warum sie mich fragten. Es war Mitleid, Verwunderung und auch Verlegenheit, die sie fühlten, aber ich war durchaus nicht imstande auch noch ihnen zu helfen.
      “Willst Du Dich nicht in unsere Gesellschaft aufnehmen lassen” fragte mich letzthin ein Bekannter, als er mich nach Mitternacht allein in einem schon fast leeren Kaffeehaus traf. Nein das will ich nicht sagte ich

      Es war schon nach Mitternacht. Ich saß in meinem Zimmer und schrieb einen Brief, an dem mir sehr viel lag, da ich durch ihn eine gute Stellung im Ausland zu erreichen hoffte. Ich suchte dem Bekannten, an den er gerichtet war und mit dem ich jetzt nach 10jähriger Trennung zufällig durch einen gemeinschaftlichen Freund wieder in Verbindung kommen sollte, die längst vergangenen Zeiten wieder in Erinnerung zu bringen und gleichzeitig ihm begreiflich zu machen, wie mich alles aus meiner Heimat drängte und wie ich ohne sonstige, gute weitreichende Beziehungen wie ich war in ihn meine größte Hoffnung setzte.
    Der Magistratsbeamte Bruder kam erst gegen 9 Uhr abends aus seiner Kanzlei nachhause. Es war schon ganz dunkel. Seine Frau erwartete ihn vor dem Haustor, ihr kleines Mädchen hielt sie an sich gedrückt. “Wie steht es?” fragte sie. “Sehr schlecht” sagte Bruder “Komm nur ins Haus, ich erzähle Dir dann alles.” Kaum waren sie ins Haus getreten, sperrte Bruder das Haustor ab. Wo ist das Dienstmädchen fragte er. “In der Küche” sagte die Frau. “Dann ist gut, kommt!” Im großen niedrigen Wohnzimmer wurde die Stehlampe angezündet, alle setzten sich und Bruder sagte: Die Sache steht also folgendermaßen. Die unsrigen sind vollständig im Rückzug. Das Gefecht bei Rumdorf ist wie ich aus zweifellosen Nachrichten die im Stadtamt eingelaufen sind, ersehen habe, gänzlich zu unsern Ungunsten ausgefallen. Es ist auch schon der größte Teil der Truppen aus der Stadt weggezogen. Man verheimlicht es noch, um den Schrecken in der Stadt nicht grenzenlos zu steigern. Ich halte das für nicht ganz vernünftig, es wäre besser offen die Wahrheit zu sagen. Aber meine Pflicht verlangt, daß ich schweige. Dir allerdings die Wahrheit zu sagen, kann mich niemand hindern. Übrigens ahnen auch alle das Richtige, das merkt man überall. Alles versperrt die Häuser, versteckt was versteckt werden kann.
      Der Magistratsbeamte Bruder kam erst um 10 Uhr abends aus seiner Kanzlei nachhause, trotzdem klopfte er sofort an die Tür, die sein Zimmer von der Wohnung des Möbelhändlers Rumford bei dem er eingemietet war, trennte. Er konnte zwar nur ein undeutliches Wort hören,

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