Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
eingeleitet, “Schuft” stöhnt manchmal einer unter dem Griff des andern, “jetzt” begleitet einen überraschenden Stoß, “Aufhören!” bedeutet Schluß aber man kämpft noch immer ein Weilchen weiter. Meistens springt er sogar noch von der Tür einmal ins Zimmer zurück und gibt mir einen Stoß, daß ich hinfalle. Aus seinem Zimmer ruft er mir dann durch die Wand Gute Nacht zu. Ich müßte, falls ich diese Bekanntschaft endgiltig aufgeben wollte, mein Zimmer kündigen, denn das Versperren der Türe hilft nichts. Einmal hatte ich die Türe versperrt, weil ich lesen wollte, aber mein Nachbar schlug die Tür mit der Hacke entzwei und da er, was er einmal gefaßt hat, nur schwer aufgeben kann, war ich sogar von der Hacke gefährdet. Ich verstehe mich anzupassen. Da er immer zu bestimmter Stunde kommt, nehme ich eine leichte Arbeit vor, die ich wenn nötig sofort unterbrechen kann. Das muß ich so einrichten, denn kaum erscheint er in der Tür muß ich alles liegen lassen denn er will ja nur kämpfen sonst nichts. Fühle ich mich kräftig, so reize ich ihn ein wenig, indem ich ihm zu erst auszuweichen suche. Ich krieche unter dem Tisch durch ich werfe ihm Stühle vor die Füße, ich zwinkere ihm aus der Ferne zu, trotzdem es natürlich geschmacklos ist mit einem fremden Menschen solche ganz einseitig bleibenden Späße zu machen. Aber meistens schließen sich unsere Körper gleich zum Kampf zusammen. Offenbar ist er ein Student, lernt den ganzen Tag und will am Abend vor dem Schlafengehn noch rasch Bewegung machen. Nun, an mir hat er einen guten Gegner, ich bin vielleicht, wenn man vom Glückswechsel absieht, der stärkere und geschicktere von uns beiden. Er aber ist der ausdauerndere.
    28 / V 14 Übermorgen fahre ich nach Berlin. Trotz Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Sorgen vielleicht in einem bessern Zustand als jemals.

    Einmal brachte er ein Mädchen mit. Während ich grüße und auf ihn nicht achte, springt er auf mich und reißt mich in die Höhe. “Ich protestiere” rief ich und hob die Hand. “Schweig” flüsterte er mir ins Ohr. Ich merkte, daß er um jeden Preis selbst mit schändlichen Griffen vor dem Mädchen siegen wollte, um sich in Glanz zu setzen. “Er hat mir gesagt: ›Schweig”‹ rief ich deshalb, den Kopf zum Mädchen hingedreht. “Oh gemeiner Mensch” stöhnte der Mann leise, er verbrauchte an mir alle seine Kraft. Immerhin schleppte er mich noch zum Kanapee, legte mich hin, kniete auf meinem Rücken nieder, wartete die Wiederkehr der Sprache ab und sagte: “Da liegt er also.” “Er soll es noch einmal versuchen” wollte ich sagen, aber schon nach dem ersten Wort drückte er mir das Gesicht so stark in die Polsterung, daß ich schweigen mußte. “Nun ja” sagte das Mädchen, das sich an meinen Tisch gesetzt hatte und einen dort liegenden angefangenen Brief überlas. “Werden wir nicht schon gehn? Er hat gerade einen Brief angefangen. ” “Er wird ihn auch nicht fortsetzen, wenn wir fortgehn. Komm mal her. Greif z. B. hier an den Schenkel, er zittert ja wie ein krankes Tier. ” “Ich sage laß ihn und komm. ” Sehr widerwillig kroch der Mann von mir hinunter. Ich hätte ihn jetzt durchprügeln können, denn ich war jetzt ausgeruht, er aber hatte alle Muskeln angespannt, um mich niederzuhalten. Er hatte gezittert und hatte geglaubt ich zittere. Er zitterte sogar noch immer. Ich ließ ihn aber in Ruhe, weil das Mädchen zugegen war. “Sie werden sich wahrscheinlich Ihr Urteil über diesen Kampf schon selbst gebildet haben” sagte ich zu dem Mädchen, gieng mit einer Verbeugung an ihm vorüber und setzte mich zum Tisch um den Brief fortzusetzen. “Wer zittert also?” fragte ich, ehe ich zu schreiben anfieng und hielt den Federhalter zum Beweis, daß ich es nicht war, steif in die Luft. Schon im Schreiben rief ich ihnen als sie in der Tür waren, ein kurzes Adieu zu, schlug aber ein wenig mit dem Fuß aus, um wenigstens für mich die Verabschiedung anzudeuten, die wahrscheinlich beide verdient hätten.
    29 V 14 Morgen nach Berlin. Ist es ein nervöser oder ein wirklicher verläßlicher Zusammenhalt den ich fühle. Wie wäre das? Ist es richtig, daß man einmal die Erkenntnis des
    Schreibens erhält, nichts verfehlt werden kann, nichts versinkt, aber auch nur selten etwas übermäßig hoch emporschlägt. Wäre es das Herandämmern der Ehe mit F. P Sonderbarer mir allerdings in der Erinnerung nicht ganz fremder Zustand.
      Lange mit Pick vor dem Tor gestanden. Nur

Weitere Kostenlose Bücher