Tagebücher: 1909-1923
umfaßten saßen halb liegend fünf Männer und bliesen den Rauch ihrer Pfeifen nach allen Seiten. Von Zeit zu Zeit kam der Mann in Plunderhosen zu ihnen, hielt eine Ansprache und klopfte ihnen auf die Knie. Gewöhnlich wurde hinter einem Stein eine Weinkanne, die dort im Schatten aufbewahrt wurde, hervorgeholt und ein Glas mit undurchsichtigem roten Wein wanderte von Mann zu Mann.
22. (Oktober 1913) zu spät. Die Süßigkeit der Trauer und der Liebe. Von ihr angelächelt werden im Boot. Das war das Allerschönste. Immer nur das Verlangen zu sterben und das Sich- noch-halten, das allein ist Liebe.
Gestrige Beobachtung. Die für mich passendste Situation: Einem Gespräch zweier Leute zuhören, die eine Angelegenheit besprechen, die sie nahe angeht, während ich an ihr nur einen ganz fernen Anteil habe, der überdies vollständig selbstlos ist.
26. (Oktober 1913) Die Familie saß beim Abendessen. Durch die vorhanglosen Fenster sah man in die tropische Nacht.
Es war ein stiller warmer Abend. Die Dorfstraße war ganz vom Mond
Die Familie saß beim Abendessen. Durch die vorhanglosen Fensterlöcher sah man in die tropische Nacht hinaus.
“Wer bin ich denn?” fuhr ich mich an. Ich erhob mich von dem Kanapee, auf dem ich mit hochgezogenen Knien gelegen war, und setzte mich aufrecht. Die Tür die gleich vom Treppenhaus in mein Zimmer führte, öffnete sich und ein junger Mann mit gesenktem Gesicht und prüfendem Blick trat ein. Er machte, soweit es im engen Zimmer möglich war, einen Bogen um das Kanapee und blieb in der Ecke neben dem Fenster im Dunkel stehn. Ich wollte nachsehn, was das für eine Erscheinung war, gieng hin und faßte den Mann beim Arm. Es war ein lebendiger Mensch. Er sah – ein wenig kleiner als ich – lächelnd zu mir hinauf, schon die Sorglosigkeit mit der er nickte und sagte “Prüfen Sie mich nur” hätte mich überzeugen sollen. Trotzdem ergriff ich ihn vorn bei der Weste und hinten beim Rock und schüttelte ihn. Seine schöne starke goldene Uhrkette fiel mir auf, ich packte sie und zerrte sie herunter, daß das Knopfloch zerriß, an dem sie befestigt war. Er duldete es, sah nur auf den Schaden hinunter und versuchte nutzlos den Westenknopf in dem zerrissenen Knopfloch festzuhalten. Was tust Du? sagte er endlich und zeigte mir die Weste. “Nur Ruhe! ” sagte ich drohend.
Ich fieng an im Zimmer herumzulaufen, aus Schritt kam ich in Trab, aus Trab in Galopp, immer wenn ich den Mann passiert, erhob ich gegen ihn die Faust. Er sah mir gar nicht zu sondern arbeitete noch immer an seiner Weste. Ich fühlte mich sehr frei, schon meine Atmung gieng in außergewöhnlicher Weise vor sich, meine Brust fühlte nur in den Kleidern ein Hindernis sich riesenhaft zu heben.
Schon viele Monate beabsichtigte Wilhelm Menz, ein junger Buchhalter, ein Mädchen anzusprechen, das er regelmäßig am Morgen auf dem Weg in das Bureau in einer sehr langen Gasse einmal an dieser einmal an jener Stelle zu treffen pflegte. Er hatte sich schon damit abgefunden, daß es bei dieser Absicht bleiben würde – er war sehr wenig entschlossen Frauen gegenüber und der Morgen war auch eine ungünstige Zeit, um ein eilendes Mädchen anzusprechen – da traf es sich, daß er eines abends – es war um die Weihnachtszeit – knapp vor sich das Mädchen gehen sah. “Fräulein” sagte er. Sie drehte sich um, erkannte den Mann, den sie immer am Morgen zu treffen pflegte, ließ ohne stehen zu bleiben den Blick ein wenig auf ihm ruhn und wandte sich, da Menz nichts weiter sagte, wieder ab. Sie waren in einer hellbeleuchteten Gasse inmitten großen Menschengedränges und Menz konnte, ohne aufzufallen, ganz nahe an sie herantreten. Irgendetwas Passendes zu sagen, wollte in diesem entscheidenden Augenblick Menz nicht einfallen, fremd wollte er dem Mädchen aber auch nicht bleiben, denn etwas so ernstlich begonnenes wollte er unbedingt weiterführen, und so wagte er es, das Mädchen unten an der Jacke zu zupfen. Das Mädchen duldete es, als sei nichts geschehn.
6. XI 13 Woher die plötzliche Zuversicht? Bliebe sie doch! Könnte ich so ein- und ausgehn durch alle Türen als ein halbwegs aufrechter Mensch. Nur weiß ich nicht, ob ich das will.
Margarethe Bloch, Ehrenstein
Wir wollten den Eltern nichts davon sagen, aber jeden Abend nach 9 Uhr versammelten wir uns ich und zwei Vettern am Friedhofsgitter an einer Stelle, wo eine kleine Erderhöhung einen guten Überblick ermöglichte.
Das Eisengitter des
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