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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Fortschritte gemacht, er konnte wohl ein wenig ausruhn und die Nachtarbeit einschränken. Er schloß seine Bucher und Hefte, ordnete alles auf seinem kleinen Tisch und wollte sich ausziehn, um schlafen zu gehn. Zufällig sah er aber zum Fenster hin und es kam ihm beim Anblick des klaren Vollmondes der Einfall, in der schönen Herbstnacht noch einen kleinen Spaziergang zu machen und sich möglicherweise irgendwo mit einem schwarzen Kaffee zu stärken. Er löschte die Lampe aus, nahm den Hut und öffnete die Tür zur Küche. Im allgem. war es ihm ganz gleichgültig, daß er immer durch die Küche gehen mußte, auch verbilligte diese Unbequemlichkeit sein Zimmer um ein Bedeutendes, aber hie und da wenn in der Küche besonderer Lärm war oder wenn er wie heute z. B. spät abend weggehn wollte, war es doch lästig.
      Trostlos. Heute im Halbschlaf am Nachmittag: Schließlich muß mir doch das Leid den Kopf sprengen. Undzwar an den Schläfen. Was ich bei dieser Vorstellung sah, war eigentlich eine Schußwunde, nur waren um das Loch herum die Ränder mit scharfen Kanten aufrecht aufgestülpt, wie bei einer wild aufgerissenen Blechbüchse.

    An Krapotkin nicht vergessen!
    20. X 13. Die unausdenkliche Traurigkeit am Morgen. Abend Jakobsohn “Der Fall Jakobsohn” gelesen. Diese Kraft zu leben, sich zu entscheiden, den Fuß mit Lust auf den richtigen Ort zu setzen. Er sitzt in sich wie ein meisterhafter Ruderer in seinem Boot und in jedem Boot sitzen würde. Ich wollte ihm schreiben. Gieng statt dessen spazieren, verwischte alles aufgenommene Gefühl durch ein Gespräch mit Haas, den ich traf, Weiber erregten mich, nun las ich zuhause “die Verwandlung” und finde sie schlecht. Vielleicht bin ich wirklich verloren, die Traurigkeit von heute morgen wird wiederkommen, ich werde ihr nicht lange widerstehen können, sie nimmt mir jede Hoffnung. Ich habe nicht einmal Lust ein Tagebuch zu führen, vielleicht weil darin schon zuviel fehlt, vielleicht weil ich immerfort nur halbe und allem Anschein nach notwendig halbe Handlungsweise beschreiben müßte, vielleicht weil selbst das Schreiben zu meiner Traurigkeit beiträgt. Gerne wollte ich Märchen (warum hasse ich das Wort so?) schreiben, die der W. gefallen könnten und die sie einmal beim Essen unter dem Tisch hält, in den Pausen liest und fürchterlich errötet, als sie bemerkt, daß der Sanatoriumsarzt schon ein Weilchen hinter ihr steht und sie beobachtet. Manchmal, eigentlich immer ihre Erregung beim Erzählen (ich fürchte wie ich merke die förmlich physische Anstrengung beim Sicherinnern, den Schmerz, unter dem der Boden des gedankenleeren Raumes sich langsam öffnet oder auch nur erst ein wenig sich wölbt) Alles wehrt sich gegen das Aufgeschriebenwerden. Wüßte ich, daß darin ihr Gebot wirkt, nichts über sie zu sagen (ich habe es streng, fast ohne Mühe gehalten) dann wäre ich zufrieden, aber es ist nichts als Unfähigkeit. Was meine ich übrigens dazu, daß ich heute abend eine ganze Wegstrecke lang darüber nachdachte was ich durch die Bekanntschaft mit der W. an Freuden mit der Russin eingebüßt habe, die mich vielleicht, was durchaus nicht ausgeschlossen ist, nachts in ihr Zimmer eingelassen hätte, das schief gegenüber dem meinigen lag. Während mein abendlicher Verkehr mit der W. darin bestand, daß ich in einer Klopfsprache, zu deren endgiltiger Besprechung wir niemals kamen, an die Decke meines unter ihrem Zimmer liegenden Zimmers klopfte, ihre Antwort empfing, mich aus dem Fenster beugte, sie grüßte, einmal mich von ihr segnen ließ, einmal nach einem herabgelassenen Bande haschte, stundenlang auf der Fensterbrüstung saß, jeden ihrer Schritte oben hörte, jedes zufällige Klopfen als ein Verständigungszeichen irriger Weise auffaßte, ihren Husten hörte, ihr Singen vor dem Einschlafen.

    21. (Oktober 1913) Verlorener Tag. Besuch der Ringhofferschen Fabrik Seminar Ehrenfels, bei Weltsch, Nachtmahl, Spaziergang, jetzt 10 Uhr’ hier. Ich denke immerfort an den Schwarzkäfer, werde aber nicht schreiben.
    Im kleinen Hafen eines Fischerdorfes wurde eine Barke zur Fahrt ausgerüstet. Ein junger Mann in Plunderhosen beaufsichtigte die Arbeiten. Zwei alte Matrosen trugen Säcke und Kisten bis zu einer Anlegebrücke, wo ein großer Mann mit auseinandergestemmten Beinen alles in Empfang nahm und irgendwelchen Händen überantwortete, die sich aus dem dunklen Innern der Barke ihm entgegenstreckten. Auf großen Quadersteinen, die einen Winkel des Quais

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