Tagebücher: 1909-1923
“Nein” beruhigte – es bleibt doch wahr, sie muß mit mir unglücklich werden, so weit ich es absehn kann. Ich bin nicht nur durch meine äußerlichen Verhältnisse, sondern noch viel mehr durch mein eigentliches Wesen ein verschlossener, schweigsamer ungeselliger unzufriedener Mensch, ohne dies aber für mich als ein Unglück bezeichnen zu können, denn es ist nur der Widerschein meines Zieles. Aus meiner Lebensweise, die ich zuhause führe, lassen sich doch wenigstens Schlüsse ziehn. Nun ich lebe in meiner Familie, unter den besten und liebevollsten Menschen, fremder als ein Fremder. Mit meiner Mutter habe ich in den letzten Jahren durchschnittlich nicht zwanzig Worte täglich gesprochen, mit meinem Vater kaum jemals mehr als Grußworte gewechselt. Mit meinen verheirateten Schwestern und den Schwägern, spreche ich gar nicht, ohne etwa mit ihnen böse zu sein. Der Grund dessen ist einfach der, daß ich mit ihnen nicht das aller Geringste zu sprechen habe. Alles was nicht Litteratur ist, langweilt mich und ich hasse es, denn es stört mich oder hält mich auf, wenn auch nur vermeintlich. Für Familienleben fehlt mir daher jeder Sinn außer der des Beobachters im besten Fall. Verwandtengefühl habe ich keines, in Besuchen sehe ich förmlich gegen mich gerichtete Bosheit.
Eine Ehe könnte mich nicht verändern, ebenso wie mich mein Posten nicht verändern kann.
30 VIII 13 Wo finde ich Rettung Wieviel Unwahrheiten, von denen ich gar nicht mehr wußte, werden mit heraufgeschwemmt. Wenn die wirkliche Verbindung von ihnen ebenso durchzogen würde, wie der wirkliche Abschied dann habe ich sicher recht getan. In mir selbst gibt es ohne menschliche Beziehung keine sichtbaren Lügen. Der begrenzte Kreis ist rein.
14. X 13.
Die kleine Gasse begann mit der Mauer eines Kirchhofes auf der einen und einem niedrigen Hause mit einem Balkon auf der andern Seite. In dem Hause wohnte der pensionierte Beamte Friedrich Munch und seine Schwester Elisabeth.
Ein Trupp Pferde brach aus der Umzäumung.
Zwei Freunde machten einen Morgenritt.
“Teufel, rettet mich aus der Umnachtung!” rief ein alter Kaufmann, der sich am Abend müde auf das Kanapee gelegt hatte und nun in der Nacht nur mit Sammlung aller Kräfte schwer sich erhob. Es klopfte dumpf an die Tür. “Herein, herein, alles, was draußen ist! ” rief er
15. X 13 Ich habe mich vielleicht wieder aufgefangen, bin wieder vielleicht im Geheimen einen kürzern Weg gelaufen und halte mich, der ich im Alleinsein schon verzweifle, wieder an. Aber die Kopfschmerzen, die Schlaflosigkeit! Nun es steht für den Kampf oder vielmehr, ich habe keine Wahl.
Der Aufenthalt in Riva hatte für mich eine große Wichtigkeit. Ich verstand zum ersten Mal ein christliches Mädchen und lebte fast ganz in seinem Wirkungskreis. Ich bin unfähig etwas für die Erinnerung Entscheidendes darüber aufzuschreiben. Nur um sich zu erhalten macht mir meine Schwäche lieber den dumpfen Kopf klar und leer, soweit sich die Verworrenheit an die Ränder drücken läßt. Mir ist aber dieser Zustand fast lieber, als das bloß dumpfe und ungewisse Andrängen, zu dessen überdies unsichern Befreiung ein Hammer nötig wäre, der mich vorher zerschlägt.
Mißlungener Versuch an E. Weiß zu schreiben. Und gestern im Bett hat mir der Brief im Kopf gekocht.
In der Ecke einer Elektrischen sitzen, den Mantel um mich geschlagen.
Der Prof. Grünwald auf der Reise von Riva. Seine an den Tod erinnernde deutschböhmische Nase, angeschwollene, gerötete, blasentreibende Backen eines auf blutleere Magerkeit angelegten Gesichtes, der blonde Vollbart ringsherum. Von der Freß- und Trinksucht besessen. Das Einschlucken der heißen Suppe, das Hineinbeißen und gleichzeitige Ablecken des nicht abgeschälten Salamistumpfes, das schluckweise ernste Trinken des schon warmen Bieres, das Ausbrechen des Schweißes um die Nase herum. Eine Widerlichkeit, die durch gierigstes Anschauen und Beriechen nicht auszukosten ist.
Das Haus war schon geschlossen. In zwei Fenstern des zweiten Stockwerkes war Licht und dann noch in einem Fenster des vierten Stockwerkes. Ein Wagen hielt vor dem Hause. An das beleuchtete Fenster im vierten Stockwerk trat ein junger Mann, öffnete es und sah auf die Gasse hinunter. Im Mondlicht
Es war schon spät abend. Der Student hatte gänzlich die Lust verloren, noch weiter zu arbeiten. Es war auch gar nicht nötig, er hatte in den letzten Wochen wirklich große
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