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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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seit dem Anfang und immer von neuem und vielleicht für immer. Also Du gehörst zu mir, deshalb ist mein Verhältnis zu Deinen Verwandten ähnlich meinem Verhältnis zu den meinen, allerdings natürlich im Guten und Bösen unvergleichlich lauer. Sie geben eine Verbindung ab, die mich hindert (hindert, selbst wenn ich niemals ein Wort mit ihnen reden sollte) und sie sind im obigen Sinn nicht würdig. Ich rede zu Dir so offen wie zu mir, Du wirst es nicht übelnehmen und auch keinen Hochmut darin suchen, er ist zumindest dort wo Du ihn suchen könntest nicht vorhanden.
      Wenn Du nun hier bist und an dem Tisch meiner Eltern sitzt, ist natürlich die Angriffsfläche, welche das mir Feindliche in meinen Eltern mir gegenüber hat eine viel größere geworden. Meine Verbindung mit der Gesamt-Familie scheint ihnen eine viel größere geworden (sie ist es aber nicht und darf es nicht sein) ich scheine ihnen eingefügt in diese Reihe, deren ein Posten das Schlafzimmer nebenan ist (ich bin aber nicht eingefügt) gegen meinen Widerstand glauben sie in Dir eine Mithilfe bekommen zu haben (sie haben sie nicht bekommen) und ihr Häßliches und Verächtliches steigert sich, da es in meinen Augen einem größern berlegen sein sollte. Wenn dem so ist, warum freue ich mich dann über Deine Bemerkung nicht Weil ich förmlich vor meiner Familie stehe und unaufhörlich die Messer im Kreise schwinge, um die Familie immerfort und gleichzeitig zu verwunden und zu verteidigen, laß mich darin ganz Dich vertreten ohne daß Du mich in diesem Sinn Deiner Familie gegenüber vertrittst. Ist Dir Liebste dieses Opfer nicht zu schwer Es ist ungeheuerlich, und wird Dir nur dadurch erleichtert, daß ich, wenn Du es nicht gibst, kraft meiner Natur, es Dir entreißen muß. Gibst Du es aber, dann hast Du viel für mich getan. Ich werde Dir absichtlich 1, 2 Tage nicht schreiben, damit Du es, von mir ungestört, überlegen und beantworten kannst. Als Antwort genügt auch – so groß ist mein Vertrauen zu Dir – ein einziges Wort.
    30 X 16
    Zwei Herren sprachen im Sattelraum über ein Pferd, dem ein Stallknecht den Hinterleib massierte. “Ich habe Atro” sagte der ältere weißhaarige, und nagte, ein Auge etwas zugekniffen leicht an seiner Unterlippe “ich habe Atro seit einer Woche nicht mehr gesehn, das Gedächtnis für Pferde bleibt selbst bei größter Übung ein unsicheres. Ich vermisse jetzt an Atro manches, was es in meiner Vorstellung unbedingt besaß. Ich rede jetzt vom Gesamteindruck, die Einzelnheiten mögen ja stimmen, wenn mir auch jetzt sogar eine Schlaffheit der Muskeln hie und da auffällt. Sehen Sie hier und hier. ” Er bewegte forschend den geneigten Kopf und tastete mit den Händen in der Luft.
    6 April 17

      Im kleinen Hafen, wo außer Fischerbooten nur die 2 Passagierdampfer, die den Seeverkehr besorgen, zu halten pflegen, lag heute eine fremde Barke. Ein schwerer alter Kahn, verhältnismäßig niedrig und sehr ausgebaucht, verunreinigt, wie mit Schmutzwasser ganz und gar übergossen, noch troff es scheinbar die gelbliche Außenwand hinab, die Masten unverständlich hoch, der Hauptmast im obern Drittel geknickt, faltige, rauhe, gelbbraune Segeltücher zwischen den Hölzern kreuz und quer gezogen, Flickarbeit, keinem Windstoß gewachsen.

      Ich staunte es lange an, wartete daß irgendjemand sich auf Deck zeigen würde, niemand kam. Neben mir setzte sich ein Arbeiter auf die Quaimauer. “Wem gehört das Schiff?” fragte ich, “ich sehe es heute zum ersten Mal. ” “Es kommt alle 2, 3 Jahre” sagte der Mann “und gehört dem Jäger Gracchus”

    29. Juli 17
    Hofnarr. Studie über den Hofnarr.
      Die großen Zeiten des Hofnarrentums sind wohl vorüber und kommen nicht wieder. Alles zielt anderswohin, das ist nicht zu leugnen. Immerhin habe ich das Hofnarrentum noch ausgekostet, mag es sich jetzt auch aus dem Besitz der Menschheit verlieren.
      Ich saß immer tief in der Werkstatt, ganz im Dunkel, man mußte dort manchmal erraten, was man in der Hand hielt, trotzdem aber bekam man für jeden schlechten Stich einen Hieb des Meisters.
    Unser König machte keinen Aufwand; wer ihn nicht von Bildern kannte, hätte ihn nie als König erkannt. Sein Anzug war schlecht genäht, nicht in unserer Werkstatt übrigens, ein dünner Stoff, der Rock immer aufgeknöpft, fliegend und zerdrückt, der Hut verbeult, grobe schwere Stiefel, nachlässige weite Bewegungen der Arme, ein starkes Gesicht mit großer grader männlicher Nase, ein

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