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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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ich heute noch nichts geschrieben habe? Mit nichts. Zumal meine Verfassung nicht die schlechteste ist. Ich habe immerfort eine Anrufung im Ohr: “Kämest Du unsichtbares Gericht! “
      Damit diese falschen Stellen, die um keinen Preis aus der Geschichte herauswollen, mir endlich Ruhe geben schreibe ich zwei her:
      “Seine Athemzüge waren laut wie Seufzer über einen Traum, in dem das Unglück leichter zu tragen ist, als in unserer Welt, sodaß einfache Athemzüge schon genügendes Seufzen sind. “
      “Jetzt überblickte ich ihn so frei, wie man ein kleines Geduldspiel überblickt, von dem man sich sagt: “Was tut es, daß ich die Kügelchen nicht in ihre Höhlungen bringen kann, alles gehört mir ja, das Glas, die Fassung, die Kügelchen und was noch da ist; diese ganze Kunst kann ich einfach in die Tasche stecken. “

    21 (Dezember 1910) Merkwürdigkeiten aus “Taten des
    großen Alexander” von Michail Kusmin:

      “Kind, dessen obere Hälfte tot, untere lebend”, “Kindesleiche mit den sich bewegenden roten Beinchen”
      “die unreinen Könige Gog und Magog, die sich von Würmern und Fliegen nährten, vertrieb er in geborstene Felsen
      und versiegelte sie bis ans Ende der Welt mit dem Siegel Salomonis”
      “steinerne Flüsse, wo an Stelle des Wassers mit Getöse Steine sich wälzten, vorbei an den Sandbächen, die 3 Tage

    lang gegen Süden fließen und 3 Tage gegen Norden”
      Amazonen, Frauen mit ausgebrannten rechten Brüsten, kurzen Haaren, Männerschuhwerk
    Krokodile, die mit ihrem Harn Bäume verbrannten
      Bei Baum gewesen, so schöne Sachen gehört. Ich hinfällig wie früher und immer. Das Gefühl haben, gebunden zu sein und gleichzeitig das andere, daß, wenn man losgebunden würde, es noch ärger wäre.
    22 (Dezember 1910) Heute wage ich es nicht einmal, mir Vorwürfe zu machen. In diesen leeren Tag hineingerufen hätte das einen ekelhaften Widerhall.
      24 (Dezember 1910) Jetzt habe ich meinen Schreibtisch genauer angeschaut und eingesehn, daß auf ihm nichts Gutes gemacht werden kann. Es liegt hier so vieles herum und bildet eine Unordnung ohne Gleichmäßigkeit und ohne jede Verträglichkeit der ungeordneten Dinge, die sonst jede Unordnung erträglich macht. Sei auf dem grünen Tuch eine Unordnung wie sie will, das durfte auch im Parterre der alten Teater sein. Daß aber aus den Stehplätzen

    25 (Dezember 1910) aus dem offenen Fach unter dem Tischaufsatz hervor Broschüren, alte Zeitungen, Kataloge Ansichtskarten, Briefe, alle zum Teil zerrissen, zum Teil geöffnet in Form einer Freitreppe hervorkommen, dieser unwürdige Zustand verdirbt alles. Einzelne verhältnismäßig riesige Dinge des Parterres treten in möglichster Aktivität auf, als wäre es im Teater erlaubt, daß im Zuschauerraum der Kaufmann seine Geschäftsbücher ordnet, der Zimmermann hämmert, der Officier den Säbel schwenkt, der Geistliche dem Herzen zuredet, der Gelehrte dem Verstand, der Politiker dem Bürgersinn, daß die Liebenden sich nicht zurückhalten u. s. w. Nur auf meinem Schreibtisch steht der Rasierspiegel aufrecht, wie man ihn zum Rasieren braucht, die Kleiderbürste liegt mit ihrer Borstenfläche auf dem Tuch, das Portemonnaie liegt offen für den Fall daß ich zahlen will, aus dem Schlüsselbund ragt ein Schlüssel fertig zur Arbeit vor und die Kravatte schlingt sich noch teilweise um den ausgezogenen Kragen. Das nächst höhere, durch die kleinen geschlossenen Seitenschubladen schon eingeengte offene Fach des Aufsatzes ist nichts als eine Rumpelkammer, so als würde der niedrige Balkon des Zuschauerraumes, im Grunde die sichtbarste Stelle des Teaters für die gemeinsten Leute reserviert für alte Lebemänner, bei denen der Schmutz allmählich von innen nach außen kommt, rohe Kerle, welche die Füße ber das Balkongeländer herunterhängen lassen, Familien mit soviel Kindern, daß man nur kurz hinschaut, ohne sie zählen zu können richten hier den Schmutz armer Kinderstuben ein (es rinnt ja schon im Parterre) im dunklen Hintergrund sitzen unheilbare Kranke, man sieht sie glücklicherweise nur wenn man hineinleuchtet u. s. w. In diesem Fach liegen alte Papiere die ich längst weggeworfen hätte wenn ich einen Papierkorb hätte, Bleistifte mit abgebrochenen Spitzen, eine leere Zündholzschachtel, ein Briefbeschwerer aus Karlsbad, ein Lineal mit einer Kante, deren Holprigkeit für eine Landstraße zu arg wäre, viele Kragenknöpfe, stumpfe Rasiermessereinlagen (für die ist

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