Tagebücher: 1909-1923
festhalten, denn nur hier kann ich es.
Gerne möchte ich das Glücksgefühl erklären, das ich von Zeit zu Zeit wie eben jetzt in mir habe. Es ist wirklich etwas moussierendes, das mich mit leichtem angenehmen Zucken ganz und gar erfüllt und das mir Fähigkeiten einredet von deren Nichtvorhandensein ich mich jeden Augenblick auch jetzt mit aller Sicherheit überzeugen kann.
Hebbel lobt Justinus Kerner “Reiseschatten”
“Und solch ein Werk existiert kaum, niemand kennt es”
Die Straße der Verlassenheit von W. Fred. Wie werden solche Bücher geschrieben? Ein Mann, der im Kleinen Tüchtiges fertig bringt, dehnt hier sein Talent in einer so erbärmlichen Weise ins Große eines Romans aus, daß einem bel wird, selbst wenn man nicht vergißt, die Energie in der Mißhandlung des eigenen Talentes zu bewundern.
Dieses Verfolgen nebensächlicher Personen von denen ich lese in Romanen, Teaterstücken u. s. w. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das ich da habe! In den “Jungfern von Bischofsberg” (heißt es so?) wird von zwei Näherinnen gesprochen, die das Weißzeug für die eine Braut im Stücke machen. Wie geht es diesen 2 Mädchen? Wo wohnen sie? Was haben sie angestellt, daß sie nicht mit ins Stück dürfen, sondern förmlich draußen vor der Arche Noah unter den Regengüssen ertrinkend zum letztenmal nur ihr Gesicht an ein Kajütenfenster drücken dürfen, damit der Parterrebesucher für einen Augenblick etwas Dunkles dort sieht.
17 (Dezember 1910) Zeno sagte auf eine dringliche Frage hin, ob denn nichts ruhe: Ja der fliegende Pfeil ruht
Wenn die Franzosen ihrem Wesen nach Deutsche wären, wie würden sie dann erst von den Deutschen bewundert sein.
Daß ich soviel weggelegt und weggestrichen habe, ja fast alles was ich in diesem Jahre überhaupt geschrieben habe, das hindert mich jedenfalls auch sehr am Schreiben. Es ist ja ein Berg, es ist 5 mal soviel als ich überhaupt je geschrieben habe und schon durch seine Masse zieht es alles was ich schreibe, mir unter der Feder weg zu sich hin
18 (Dezember 1910) Wenn es nicht zweifellos wäre, daß der Grund dessen, daß ich Briefe (selbst solche voraussichtlich unbedeutenden Inhalts, wie eben jetzt einen) eine Zeitlang uneröffnet liegen lasse, nur Schwäche und Feigheit ist, die mit dem Aufmachen eines Briefes ebenso zögert,‘wie sie zögern würde die Tür eines Zimmers zu öffnen, in dem ein Mensch vielleicht schon ungeduldig auf mich wartet, dann könnte man dieses Liegenlassen der Briefe noch viel besser mit Gründlichkeit erklären. Angenommen nämlich, ich sei ein gründlicher Mensch so muß ich versuchen alles möglichst auszudehnen, was den Brief betrifft, also ihn schon langsam öffnen, langsam und vielmals lesen, lange überlegen, mit vielen Koncepten die Reinschrift vorbereiten und schließlich noch mit dem Wegschicken zögern. Das alles liegt in meiner Macht, nur eben das plötzliche Bekommen des Briefes läßt sich nicht vermeiden. Nun ich verlangsame auch das auf künstliche Weise, ich öffne ihn lange nicht, er liegt auf dem Tisch vor mir, immerfort bietet er sich mir an, immerfort bekomme ich ihn, nehme ihn aber nicht.
Schöngeist
abend 1/2 12. Daß ich, solange ich von meinem Bureau nicht befreit bin, einfach verloren bin, das ist mir über alles klar, es handelt sich nur darum, so lange es geht den Kopf so hoch zu halten, daß ich nicht ertrinke. Wie schwer das sein wird, welche Kräfte es aus mir wird herausziehn müssen, zeigt sich schon daran, daß ich heute meine neue Zeiteinteilung, von 8 – 11” abends beim Schreibtisch zu sein, nicht eingehalten habe, daß ich dieses sogar gegenwärtig für kein so großes Unglück ha lte, daß ich diese paar Zeilen nur eilig hingeschrieben habe, um ins Bett zu kommen.
19 (Dezember 1910) Im Bureau zu arbeiten angefangen. Nachmittag bei Max.
Ein wenig Goethes Tagebücher gelesen. Die Ferne hält dieses Leben schon beruhigt fest, diese Tagebücher legen Feuer dran. Die Klarheit aller Vorgänge macht sie geheimnisvoll, so wie ein Parkgitter dem Auge Ruhe gibt, bei Betrachtung weiter Rasenflächen und uns doch in unebenbürtigen Respekt setzt.
Gerade kommt meine verheiratete Schwester zum erstenmal zu uns zu Besuch.
20 (Dezember 1910) Womit entschuldige ich die gestrige Bemerkung über Goethe (die fast so unwahr ist, wie das von ihr
beschriebene Gefühl, denn das wirkliche ist von meiner Schwester vertrieben worden)? Mit nichts. Womit entschuldige ich, daß
Weitere Kostenlose Bücher