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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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hat, für uns auszunützen. Schwarzbrauner Bart, Wangen und Kinn umwachsend, schwarze Augen, zwischen
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    Augen und Bart die dunklen Tönungen der Wangen. Er ist Freund meines Vaters, ich kannte ihn schon als Kind und die Vorstellung, daß er Kaffeeröster war, hat mir ihn immer noch dunkler und männlicher gemacht als er war.
    17. X 11 Nichts bringe ich fertig, weil ich keine Zeit habe und es in mir so drängt. Wenn der ganze Tag frei wäre und diese Morgenunruhe in mir bis zum Mittag steigen und bis zum Abend sich ermüden könnte dann könnte ich schlafen. So aber bleibt für diese Unruhe nur höchstens eine
    Abenddämmerungstunde, sie verstärkt sich etwas, wird dann niedergedrückt und gräbt mir die Nacht unnütz und schädlich auf. Werde ich es lange aushalten? Und hat es einen Zweck es auszuhalten, werde ich denn Zeit bekommen?
    Wenn ich an diese Anekdote denke: Napoleon erzählt bei der Hoftafel in Erfurt: Als ich noch bloßer Lieutenant im 5.
    Regiment war.. (die königlichen Hoheiten sehn einander betreten an, Napoleon bemerkt es und korrigiert sich) als ich noch die Ehre hatte, bloßer Lieutenant...; schwellen mir die Halsadern vor leicht nachgefühltem, künstlich in mich eindringenden Stolz.
    weiter in Radotin: ich gieng dann allein frierend im Wiesengarten herum, erkannte dann im offenen Fenster das mit mir auf diese Seite des Hauses gewanderte Kindermädchen –
    20. (Oktober 1911) Den 18 bei Max, über Paris geschrieben.
    Schlecht geschrieben ohne eigentlich in das Freie der eigentlichen Beschreibung zu kommen, die einem den Fuß vom Erlebnis löst. Ich war auch dumpf nach der großen Erhebung des vorigen Tages, der mit der Vorlesung Löwys geendet hatte. Am Tage war ich noch in keiner außergewöhnlichen Verfassung gewesen, war mit Max seine von Gablonz angekommene Mutter holen, war mit ihnen im Kaffeehaus und dann bei Max, der mir aus dem "Mädchen von Perth" einen Zigeunertanz vorspielte.
    Ein Tanz in dem sich seitenlang nur die Hüften mit eintönigem Ticken wiegen und das Gesicht einen langsamen herzlichen
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    Ausdruck hat. Bis dann gegen Ende kurz und spät die angelockte innere Wildheit kommt, den Körper schüttelt, ihn überwältigt, die Melodie zusammendrückt, daß sie in die Höhe und Tiefe schlägt, (besonders bittere dumpfe Töne hört man heraus) und dann einen unbeachteten Schluß macht. Am Anfang und unverlierbar während des Ganzen ein starkes Nahesein dem Zigeunertum, vielleicht weil ein im Tanz so wildes Volk sich ruhig nur dem Freunde zeigt. Eindruck großer Wahrheit des ersten Tanzes. Dann in "Aussprüche Napoleons" geblättert. Wie leicht wird man augenblicksweise ein Teilchen der eigenen ungeheueren Vorstellung Napoleons! Dann gieng ich schon kochend nach Hause, keiner meiner Vorstellungen konnte ich standhalten, ungeordnet, schwanger, zerrauft, geschwollen, in der Mitte meiner um mich herum rollenden Möbel, überflogen von meinen Leiden und Sorgen, möglichst viel Raum
    einnehmend, denn trotz meines Umfanges war ich sehr nervös, zog ich im Vortragssaal ein. Aus der Art, wie ich z. B. saß und sehr wahrhaftig saß, hätte ich als Zuschauer meinen Zustand gleich erkannt. Löwy las von Scholem aleichem Humoresken, dann eine Geschichte von Perez, ein Gedicht von Bialik (nur hier hat sich der Dichter um sein den Kischenewer Pogrom für die jüdische Zukunft ausbeutendes Gedicht zu popularisieren, aus dem Hebräischen in den Jargon herabgelassen und sein ursprünglich hebräisches Gedicht selbst in Jargon übersetzt), die
    "Lichtverkäuferin" von Rosenfeld. Ein dem Schauspieler natürliches, wiederkehrendes Aufreißen der Augen, die nun ein Weilchen so stehen gelassen werden von den hochgezogenen Augenbrauen umrahmt. Vollständige Wahrheit der ganzen Vorlesung; die schwache von der Schulter aus veranlaßte Hebung des rechten Armes; das Rücken am Zwicker, der ausgeborgt scheint so schlecht paßt er auf die Nase; die Haltung des Beines unter dem Tisch, das so ausgestreckt ist, daß besonders die schwachen Verbindungsknochen zwischen Ober-und Unterschenkel in Tätigkeit sind; die Krümmung des
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    Rückens, der schwach und elend aussieht, da sich der Beobachter einem einheitlichen einförmigen Rücken gegenüber im Urteil nicht betrügen läßt, wie dies beim Anschauen des Gesichtes durch die Augen, die Höhlungen und Vorsprünge der Wangen aber auch durch jede Kleinigkeit und sei es eine Bartstoppel geschehen kann. Nach der Vorlesung schon auf dem Nachhauseweg fühlte

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