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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Bewegung, sein Kopf versank fast in ihr. Erst gegen die Mitte des Vortrags als sich die Aufmerksamkeit ganz koncentrierte, hörte die Störung auf, besonders als er beim Recitieren mit dem großen schwarzgekleideten Körper aufstand und mit geschwungenen Händen die Verse führte und die graue Farbe verjagte. – Am Anfang war er zum verlegen werden, so sehr machte er Komplimente nach allen Seiten. Bei der Erzählung von einem napoleonischen Soldaten, den er noch gekannt und der 57 Wunden gehabt hatte, bemerkte er, die Mannigfaltigkeit der Farben auf dem Oberkörper dieses Mannes hätte nur ein großer Colorist wie sein anwesender Freund Mucha nachahmen können. – Ich bemerkte an mir ein Fortschreiten im Ergriffensein durch Mensche n auf dem Podium. Ich dachte nicht an meine Schmerzen und Sorgen. Ich war in die linke Ecke meines Fauteuils eigentlich aber in den Vortrag hineingedrückt, die gefalteten Hände zwischen den Knien. Ich spürte eine Wirkung Richepins auf mich, wie sie Salomo hat spüren müssen, als er junge Mädchen ins Bett nahm. Ich hatte sogar eine leichte Vision Napoleons, der in einer systematischen Phantasie auch aus dem Eingangstürchen trat, trotzdem er doch aus dem Holz des Podiums oder aus der Orgel hätte treten können. Er drückte den ganzen Saal, der in diesen Augenblicken dicht gefüllt war nieder. So nah ich ihm eigentlich war, ich hatte
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    und hätte auch in Wirklichkeit niemals Zweifel an seiner Wirkung gehabt. Ich hätte jede Lächerlichkeit seines Aufzuges vielleicht bemerkt, wie auch bei Richepin, aber dieses Bemerken hätte mich nicht gestört. Wie kühl war ich dagegen als Kind! Ich wünschte mir oft dem Kaiser entgegengestellt zu werden, um ihm seine Wirkungslosigkeit zu zeigen. Und das war nicht Mut, nur Kühle. – Gedichte recitierte er, wie Reden in der Kammer.
    Er schlug auf den Tisch, als ohnmächtiger Zuseher von Schlachten, mit schwingenden gestreckten Armen machte er den Garden eine Gasse mitten durch den Saal, empereur rief er nur mit dem gehobenen zur Fahne gewordene m Arm und gab ihm in einer Wiederholung förmlich das Echo durch ein unten in der Ebene rufendes Heer. Bei einer Schlachtbeschreibung stieß irgendwo ein Füßchen auf den Boden auf, man sah nach, es war sein Fuß, der sich zu wenig getraut hatte. Es störte ihn aber nicht. – Bei den Grenadieren, die er in einer Übersetzung von Gerard de Nerval vorlas und besonders ehrte war am wenigsten Beifall. – In seiner Jugend wurde das Grab Napoleons einmal im Jahr geöffnet und den Invaliden, die im Zug vorübergeführt wurden, wurde das einbalsamierte Gesicht gezeigt, mehr ein Anblick des Schreckens als der Bewunderung, weil das Gesicht aufgedunsen und grünlich war; man schaffte daher später dieses Graböffnen ab. Richepin sah das Gesicht aber noch auf dem Arm seines Großonkels, der in Afrika gedient hatte und für den der Kommandant das Grab eigens öffnen ließ. – Ein Gedicht, das er recitieren will (er hat ein untrügliches Gedächtnis, wie es bei starkem Temperament eigentlich immer vorhanden sein muß) kündigt er lange vorher an, bespricht es, die künftigen Verse machen schon ein kleines Erdbeben unter diesen Worten, beim ersten Gedicht sagte er sogar er werde es mit seinem ganzen Feuer vortragen. Es geschah. – Beim letzten Gedicht hatte er dann die Steigerung unvermerkt in die Verse zu kommen (Verse von Viktor Hugo) langsam aufzustehen, auch nach den Versen sich nicht mehr zu setzen, die großen
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    Recitationsbewegungen mit der letzten Gewalt seiner Prosa aufzunehmen und zu erhalten. Er schloß mit dem Schwur, daß auch nach 1000 Jahren jedes Stäubchen seines Leichnams, falls es Bewußtsein hätte, bereit sein würde, dem Rufe Napoleons zu folgen. – Das Französisch kurzatmig mit seinen rasch aufeinanderfolgenden Ventilen hielt selbst den einfältigsten Improvisationen stand, zerriß nicht einmal dann wenn er öfters von den Dichtern sprach die das Alltagsleben verschönen, von seiner Phantasie (Augen geschlossen) als der eines Dichters, von seinen Hallucinationen (Augen widerwillig in die Ferne aufgerissen) als denen eines Dichters u. s. w. Hiebei verhüllte er auch manchmal die Augen und enthüllte sie langsam einen Finger nach dem andern wegführend. – Er hat gedient, sein Onkel in Afrika, sein Großvater unter Napoleon, er sang sogar 2
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