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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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daß ihr daher dieses Thema peinlich war.
    Schließlich war es mir noch peinlicher nur fiel mir nichts anderes ein. Als Frau Tschisik dazutrat, während ich mit Frau
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    Klug sprach, sagte ich, indem ich mich Frau T. zuwendete zu Frau Klug "Pardon!", wie wenn ich beabsichtigte, vonjetzt an mit Frau T. mein Leben zu verbringen. Wie ich dann mit Frau T.
    sprach, merkte ich, daß meine Liebe sie eigentlich nicht erfaßt hatte, sendern sie nur bald näher bald weiter umflog. Ruhe kann ihr ja nicht gegeben sein. – Frau Liebgold spielte einen jungen Mann in einem Kleid, das ihren schwangern Leib fest umschloß.
    Da sie ihrem Vater (Löwy) nicht folgt, drückt er ihren Oberkörper auf einen Sessel nieder und schlägt sie auf den Hintern, über dem sich die Hose äußerst spannt. Löwy sagte dann, er habe sie mit dem gleichen Widerwillen wie eine Maus angerührt. Sie ist aber von vorn gesehen hübsch, nur im Profil fährt ihre Nase zu lang, zu spitz und grausam hinab.
    Ich kam erst um 10 Uhr hin, machte vorher einen Spaziergang und kostete die leichte Nervosität aus, einen Platz im Teater zu haben und während der Vorstellung also während die Solisten mich herbeizusingen versuchen, spazieren zu gehn. Ich versäumte auch Fr. Klug, deren immer lebendigen Gesang anzuhören nichts anderes bedeutet, als die Welt auf ihre Festigkeit zu prüfen, was ich doch nötig habe.
    Heute sprach ich beim Frühstück mit der Mutter zufällig über Kinder und Heirathen, nur ein paar Worte, aber ich bemerkte dabei zum erstenmal deutlich, wie unwahr und kindlich die Vorstellung ist, die sich meine Mutter von mir macht. Sie hält mich für einen gesunden jungen Mann, der ein wenig an der Einbildung leidet, krank zu sein. Diese Einbildung wird mit der Zeit von selbst schwinden, eine Heirat allerdings und Kinderzeugung würde sie am gründlichsten beseitigen. Dann würde auch das Interesse an der Litteratur auf jenes Maß zurückgehn, das vielleicht den Gebildeten nötig ist. Das Interesse an meinem Beruf oder an der Fabrik oder an dem, was mir gerade in die Hände kommt, wird in selbstverständlicher ungestörter Größe einsetzen. Zu dauernder Verzweiflung an meiner Zukunft ist daher nicht der geringste mit keiner Ahnung
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    zu berührende Grund, zu zeitweiliger Verzweiflung, die aber auch nicht tiefgeht, ist dann Veranlassung, wenn ich wieder einmal den Magen verdorben zu haben glaube oder wenn ich, weil ich zuviel schreibe, nicht schlafen kann.
    Lösungsmöglichkeiten gibt es tausende. Die Wahrscheinlichste ist, daß ich mich plötzlich in ein Mädchen verliebe und von ihr nicht mehr werde ablassen können. Dann werde ich sehn, wie gut man es mit mir meint und wie man mich nicht hindern wird.
    Wenn ich aber Junggeselle werde, wie der Onkel in Madrid, wird es auch kein Unglück sein, weil ich in meiner Gescheitheit mich schon einzurichten wissen werde.
    23. XII 11 Sa. Kommt beim Anblick meiner ganzen
    Lebensweise, die in eine allen Verwandten und Bekannten fremde falsche Richtung führt, die Befürchtung auf und wird sie von meinem Vater ausgesprochen, daß aus mir ein zweiter Onkel Rudolf, also der Narr der neuen nachwachsenden Familie, der für die Bedürfnisse einer andern Zeit etwas abgeänderte Narr werden wird, dann werde ich von jetzt ab fühlen können, wie in der Mutter, deren Widerspruch gegen solche Meinung im Laufe der Jahre immer kleiner wird, alles sich sammelt und stärkt, was für mich und was gegen Onkel Rudolf spricht und wie ein Keil zwischen die Vorstellungen von uns beiden fährt.
    Vorgestern in der Fabrik. Abends bei Max, wo der Maler Novak gerade die Litographien von Max ausbreitete. Ich wußte mich ihnen gegenüber nicht zu fassen, nicht ja nicht nein zu sagen. Max brachte einige Ansichten vor, die er sich schon gebildet hatte, worauf sich mein Denken darum herumkugelte ohne Ergebnis. Endlich gewöhnte ich mich an die einzelnen Blätter, legte wenigstens die Überraschung der ungeübten Augen ab, fand ein Kinn rund, ein Gesicht gepreßt, einen Oberkörper panzerhaft, er sah aber eher so aus, als trage er ein riesiges Frackhemd unter dem Straßenanzug. Der Maler brachte dagegen einiges nicht auf den ersten und nicht auf den zweiten Anlauf Verständliches vor und schwächte die Bedeutung dessen
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    nur dadurch, daß er es gerade uns gegenüber sagte, die, wenn seines innerlich erwiesen war, den billigsten Unsinn gesprochen hatten. Er behauptete, daß es die gefühlte und selbst bewußte Aufgabe des

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