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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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der zwischen den Zeilen die während der ganzen Aufführung sichtbare Ansicht ausspricht, daß eine gute Regie (die hier aber nichts als Nachahmung Reinhardts war) eine schlechte Dichtung zu einem großen teatralischem Werk machen könne. Traurig muß das alles für einen nur etwas herumgekommenen Tschechen sein. –
    Der Statthalter, der aus seinem geöffneten Logentürchen in der Pause aus dem Gange Luft schnappte. – Die als Schattenbild citierte Erscheinung der toten Axiocha, die bald verschwindet, weil sie als eine erst vor Kurzem Verstorbene beim Anblick der Welt zu sehr ihr altes Menschenleid wieder empfindet.
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    Max kam gestern aus Berlin. Im Berliner Tagblatt wurde er allerdings von einem Fackelmenschen selbstlos genannt, weil er den "weit bedeutenderen Werfel" vorgelesen hatte. Max mußte diesen Satz ausstreichen ehe er die Kritik zum Abdruck ins Prager Tagblatt trug. Ich hasse W., nicht weil ich ihn beneide, aber ich beneide ihn auch. Er ist gesund, jung und reich, ich in allem anders. Außerdem hat er früh und leicht mit musikalischem Sinn sehr Gutes geschrieben, das glücklichste Leben hat er hinter sich und vor sich, ich arbeite mit Gewichten, die ich nicht loswerden kann und von Musik bin ich ganz abgetrennt.
    Ich bin unpünktlich, weil ich die Schmerzen des Wartens nicht fühle. Ich warte wie ein Rind. Fühle ich nämlich einen wenn auch sehr unsichern Zweck meiner augenblicklichen Existenz bin ich in meiner Schwäche so eitel, daß ich um dieses einmal vorgesetzten Zweckes halber alles gern ertrage. Wenn ich verliebt wäre, was könnte ich da tun. Wie lange wartete ich vor Jahren unter den Lauben auf dem Ring, bis die M.
    vorüberkam und wenn sie auch nur mit ihrem Liebhaber vorübergieng. Ich habe teils aus Nachlässigkeit, teils aus Unkenntnis der Schmerzen des Wartens die Zeit verabredeter Zusammenkünfte versäumt, teils aber auch um neue
    kompliciertere Zwecke des erneuten unsichern Aufsuchens jener Personen, mit denen ich mich verabredet hatte, also auch die Möglichkeit langen unsichern Wartens zu erreichen. Schon daraus, daß ich als Kind eine große nervöse Angst vor dem Warten hatte, könnte man schließen, daß ich zu etwas Besserem bestimmt gewesen bin, daß ich aber meine Zukunft geahnt habe.
    Meine guten Zustände haben nicht Zeit und Erlaubnis, sich natürlich auszuleben; meine schlechten dagegen haben mehr davo n, als sie verlangen. Nun leide ich an einem solchen Zustand, wie ich nach dem Tagebuch berechnen kann, seit dem 9., fast 10 Tage. Gestern legte ich mich wieder einmal mit feurigem Kopf ins Bett und wollte mich schon freuen, daß die
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    schlechte Zeit vorüber sei, und mich schon fürchten, daß ich schlecht schlafen werde. Es gieng aber vorüber, ich schlief ziemlich gut und wache schlecht.
    19. XII (1911) Gestern "Dawids Geige" von Lateiner. Der verstoßene Bruder, ein künstlerischer Geiger, kommt wie in den Träumen meiner ersten Gymnasialzeit reichgeworden zurück, versucht aber zuerst im Bettlerkleid, die Füße mit Packhadern wie ein Schneeschaufier umbunden, seine niemals aus der Heimat gekommenen Verwandten: Seine ehrliche arme Tochter, den reichen Bruder, der seinen Sohn der armen Base nicht zur Frau geben und trotz seines Alters sich eine junge Frau nehmen will. Erst später enthüllt er sich durch Aufreißen eines Kaiserrockes, unter dem auf einer quergebundenen Schärpe die Orden aller Fürsten Europas hängen. Mit Violinspiel und Gesang macht er alle Verwandten und ihren Anhang zu guten Menschen und bringt ihre Verhältnisse in Ordnung.
    Frau Tschissik spielte wieder. Ihr Leib war gestern schöner als ihr Gesicht, das schmäler schien als sonst, so daß die Stirn, die sich beim ersten Wort in Falten wirft, zu sehr auffiel. Der schön gerundete mittelstarke große Körper gehörte gestern nicht zu ihrem Gesicht und sie erinnerte mich undeutlich an Doppelwesen wie Seejungfrauen, Sirenen, Centauren. Als sie dann vor mir stand mit verzogenem Gesicht, unreinem von der Schminke angegriffenem Teint, einem Fleck auf der
    dunkelblauen, kurzärmeligen Bluse war es mir wie wenn ich im Kreise unbarmherziger Zuschauer zu einer Statue reden sollte.
    Frau Klug stand neben ihr und beobachtete mich. Fräulein Weltsch beobachtete mich von links. Ich sagte soviel Dummheiten als möglich war. So ließ ich nicht ab, Frau T. zu fragen, warum sie nach Dresden gefahren war, trotzdem ich wußte, daß sie sich mit den andern zerworfen hatte und deshalb weggefahren war und

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