Tagebücher 1909-1923
Bühne, unter der Voraussetzung, daß sie überhaupt augenscheinlich gemacht werden könnte, unerträglich wäre. Mehr als äußerstes Spiel kann dem Zuschauer nicht zugemuthet werden. Wenn ein Schauspieler, der nach Vorschrift einen andern zu prügeln hat, in der Erregung, im übergroßen Anlauf der Sinne, wirklich prügelt und der andere vor Schmerzen schreit, dann muß der Zuschauer Mensch werden und sich ins Mittel legen. Was aber in dieser Art selten geschieht, geschieht in untergeordneteren Arten unzähligemale. Das Wesen des schlechten Schauspielers besteht nicht darin, daß er schwach nachahmt, eher schon darin daß er infolge von Mängeln seiner Bildung, Erfahrung und Anlage falsche Muster nachahmt. Aber sein wesentlichster Fehler bleibt daß er die Grenze des Spiels nicht wahrt und zu stark nachahmt. Seine dämmerhafte Vorstellung von den Forderungen der Bühne treibt ihn dazu und selbst wenn der Zuschauer glaubt, dieser oder jener Schauspieler sei schlecht, weil er stockig herumstehe, mit den Fingerspitzen am Rand seiner Tasche spiele, ungehörig die Hände an den Hüften einknicke, zum Souffleur hinhorche, um jeden Preis, mögen sich die Zeiten auch vollständig ändern, einen ängstlichen Ernst bewahre, so ist doch auch dieser auf die Bühne herabgeschneite Schauspieler nur deshalb schlecht, weil er zu stark nachahmt, wenn er dies auch nur in seiner
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Meinung tut. Gerade weil seine Fähigkeiten so begrenzt sind, fürchtet er sich weniger zu tun als alles. Selbst wenn seine Fähigkeit nicht geradezu unteilbar klein sein sollte, will er doch nicht verraten, daß unter Umständen und bei Miteintritt seines Willens auch weniger Kunst ihm zu Verfügung stehen kann, als
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seine Ganze. Die freie, ohne Rücksicht auf die Aufpasser im Parterre vorsichgehende, nach den rein gefühlten Bedürfnissen der Darstellung gelenkte,
Am Morgen fühlte ich mich zum Schreiben so frisch, jetzt aber hindert mich die Vorstellung, daß ich Max am Nachmittag vorlesen soll, vollständig. Es zeigt dies auch, wie unfähig ich zur Freundschaft bin, vorausgesetzt, daß Freundscha ft in diesem Sinne überhaupt möglich ist. Denn da eine Freundschaft ohne die Unterbrechungen des täglichen Lebens nicht denkbar ist, so wird, bleibe auch ihr Kern unverletzt, eine Menge ihrer Äußerungen immer wieder weggeweht. Aus dem unverletzten Kern bilden sie sich allerdings von neuem, aber da jede solche Bildung Zeit braucht und auch nicht jede erwartete gelingt, kann selbst abgesehen von dem Wechsel der persönlichen Stimmungen niemals dort angeknüpft werden wo das letztemal abgebrochen wurde. Daraus muß bei tief begründeten Freundschaften vor jeder neuen Begegnung eine Unruhe entstehen, die nicht so groß sein muß, daß sie an sich gefühlt wird, die aber das Gespräch und das Benehmen bis zu einem Grade stören kann, daß man bewußt erstaunt, besonders da man den Grund nicht erkennt oder nicht glauben kann. Wie soll ich da M. vorlesen oder gar beim Niederschreiben des Folgenden denken, daß ich es ihm vorlesen werde.
Außerdem stört mich, daß ich das Tagebuch heute früh daraufhin durchgeblättert habe, was ich M. vorlesen könnte.
Nun habe ich bei dieser Überprüfung weder gefunden, daß das bisher Geschriebene besonders wertvoll sei, noch daß es geradezu weggeworfen werden müsse. Mein Urteil liegt zwischen beiden und näher der ersten Meinung, doch ist es nicht derartig, daß ich mich nach dem Wert des Geschriebenen trotz meiner Schwäche für erschöpft ansehn müßte. Trotzdem hat mich der Anblick der Menge des von mir Geschriebenen von der Quelle des eigenen Schreibens deshalb für die nächsten Stunden fast unwiederbringlich abgelenkt, weil sich die
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Aufmerksamkeit im gleichen Flußlauf gewissermaßen
flußabwärts verloren hat.
Während ich manchmal glaube, daß ich während der ganzen Gymnasialzeit und auch früher besonders scharf denken konnte und dies nur infolge der späteren Schwächung meines Gedächtnisses heute nicht mehr gerecht beurteilen kann, so sehe ich ein anderes mal wieder ein, daß mir mein schlechtes Gedächtnis nur schmeicheln will und daß ich wenigstens in an sich unbedeutenden aber folgeschweren Dingen mich sehr denkfaul benommen habe. So habe ich allerdings in der Erinnerung, daß ich in den Gymnasialzeiten öfters – wenn auch nicht sehr ausführlich, ich ermüdete wahrscheinlich schon damals leicht – mit Bergmann in einer entweder innerlich vorgefundenen oder ihm
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