Tagebücher
Wilhelm Menz, ein junger Buchhalter, ein Mädchen anzusprechen, das er regelmäßig am Morgen auf dem Weg in das Bureau in einer sehr langen Gasse einmal an dieser einmal an jener Stelle zu treffen pflegte. Er hatte sich schon damit abgefunden, daß es bei dieser Absicht bleiben würde - er war sehr wenig entschlossen Frauen gegenüber und der Morgen war auch eine ungünstige Zeit, um ein eilendes Mädchen anzusprechen
- da traf es sich, daß er eines abends - es war um die Weihnachtszeit - knapp vor sich das Mädchen gehen sah. "Fräulein" sagte er. Sie drehte sich um, erkannte den Mann, den sie immer am Morgen zu treffen pflegte, ließ ohne stehen zu bleiben den Blick ein wenig auf ihm ruhn und wandte sich, da Menz nichts weiter sagte, wieder ab. Sie waren in einer hellbeleuchteten Gasse inmitten großen Menschengedränges und Menz konnte, ohne aufzufallen, ganz nahe an sie herantreten. Irgendetwas Passendes zu sagen, wollte in diesem entscheidenden Augenblick Menz nicht einfallen, fremd wollte er dem Mädchen aber auch nicht bleiben, denn etwas so ernstlich begonnenes wollte er unbedingt weiterführen, und so wagte er es, das Mädchen unten an der Jacke zu zupfen. Das Mädchen duldete es, als sei nichts geschehn.
6. XI 13 Woher die plötzliche Zuversicht? Bliebe sie doch! Könnte ich so ein- und ausgehn durch alle Türen als ein halbwegs aufrechter Mensch. Nur weiß ich nicht, ob ich das will.
Margarethe Bloch, Ehrenstein
Wir wollten den Eltern nichts davon sagen, aber jeden Abend nach 9 Uhr versammelten wir uns ich und zwei Vettern am Friedhofsgitter an einer Stelle, wo eine kleine Erderhöhung einen guten Überblick ermöglichte.
Das Eisengitter des Friedhofs läßt links einen großen grasbewachsenen Platz frei.
Friedrich: Ich hab's satt.
Wilhelm:
17 November 13
Traum: Auf einem ansteigenden Weg lag etwa in der Mitte der Steigung undzwar hauptsächlich in der Fahrbahn von unten gesehn links beginnend Unrat oder festgewordener Lehm, der gegen rechts hin durch Abbröckelung immer niedriger geworden war, während er links hoch wie Palissaden eines Zaunes stand. Ich gieng rechts wo der Weg fast frei war und sah auf einem Dreirad einen Mann von unten mir entgegenkommen und scheinbar geradewegs gegen das Hindernis fahren. Es war ein Mann wie ohne Augen zumindest sahen seine Augen wie verwischte Löcher aus. Das Dreirad war wackelig, fuhr zwar entsprechend unsicher und gelockert, aber doch geräuschlos, fast übertrieben still und leicht. Ich faßte den Mann im letzten Augenblick, hielt ihn als wäre er die Handhabe seines Fahrzeugs und lenkte dieses in die Bresche durch die ich gekommen war. Da fiel er gegen mich hin, ich war nun riesengroß und hielt ihn doch nur in einer gezwungenen Haltung, zudem begann das Fahrzeug als sei es nun herrenlos zurückzufahren, wenn auch langsam und zog mich mit. Wir kamen an einem Leiterwagen vorüber auf dem einige Leute gedrängt standen, alle dunkel gekleidet, unter ihnen war ein Pfadfinderjunge mit hellgrauem aufgekrempelten Hut. Von 189
diesem Jungen, den ich schon aus einiger Entfernung erkannt hatte, erwartete ich Hilfe, aber er wendete sich ab und drückte sich zwischen die Leute. Dann kam hinter diesem Leiterwagen - das Dreirad rollte immer weiter und ich mußte tief hinabgebückt mit gespreizten Beinen nach - jemand mir entgegen, der mir Hilfe brachte, an den ich mich aber nicht erinnern kann. Nur das weiß ich, daß es ein vertrauenswürdiger Mensch war, der sich jetzt wie hinter einem schwarzen ausgespannten Stoff verbirgt und dessen Verborgensein ich achten soll.
18 (November 1913) Ich werde wieder schreiben, aber wie viele Zweifel habe ich inzwischen an meinem Schreiben gehabt. Im Grunde bin ich ein unfähiger unwissender Mensch, der wenn er nicht gezwungen, ohne jedes eigene Verdienst, den Zwang kaum merkend, in die Schule gegangen wäre, gerade imstande wäre in einer Hundehütte zu hocken, hinauszuspringen, wenn ihm Fraß gereicht wird und zurückzuspringen, wenn er es verschlungen hat.
Zwei Hunde liefen auf einem stark von der Sonne beschienenen Hof aus entgegengesetzten Richtungen gegeneinander.
18. (November 1913) Den Anfang eines Briefes an Frl. Bloch mir abgequält.
19 (November 1913)
Mich ergreift das Lesen des Tagebuchs. Ist der Grund dessen, daß ich in der Gegenwart jetzt nicht die geringste Sicherheit mehr habe. Alles erscheint mir als Konstruktion. Jede Bemerkung eines andern, jeder zufällige Anblick wälzt alles in mir, selbst
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