Tagebücher
ahne sie, sie dagegen begnügt sich mit dem ersten oberflächlichsten Eindruck, den sie von mir erhalten hat. In aller Unschuld bittet sie um eine Brotkarte.
Abend ein Kapitel der Neuen Christen gelesen
Der alte Vater und die ältliche Tochter. Er verständig spitzbärtig, schwach gebeugt, ein Stöckchen am Rücken. Sie breitnasig, mit starkem Unterkiefer, rundes aber zerbäultes Gesicht, dreht sich schwer in ihren breiten Hüften. " Sie sagen ich sehe schlecht aus. Ich sehe doch nicht schlecht aus.
"
14. V (1915) Aus aller Regelmäßigkeit des Schreibens gekommen. Viel im Freien. Spaziergang mit Frl. Stein nach Troja, mit Frl. Reiß, ihrer Schwester, Felix, Frau und Ottla nach Dobrichowitz, Castalice. Wie in einer Folter. Heute Gottesdienst in der Teingasse, dann Tuchmachergasse, dann Volksküche. Heute alte Kapitel aus dem Heizer gelesen. Scheinbar mir heute unzugängliche (schon unzugängliche) Kraft. Fürchte wegen Herzfehler untauglich zu sein.
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27. (Mai 1915) Viel Unglück seit der letzten Eintragung. Gehe zu Grunde. So sinnlos und unnötig zu grunde gehn.
Der Tatbestand der rücksichtlich des plötzlichen Todes des Advokaten Monderry zunächst festgestellt wurde war folgender: Eines Morgens gegen 1/2 5 Uhr es war ein schöner Junimorgen und schon ganz hell lief Frau Monderry aus ihrer Wohnung im dritten Stockwerk beugte sich über das Treppengeländer und rief mit ausgebreiteten Armen offenbar in der Absicht das ganze Haus zu Hilfe zu rufen "Mein Mann ist ermordet worden! Gnade! Gnade! Mein guter Mann ist ermordet worden! " Der erste der Frau Monderry sah und hörte war ein Bäckerjunge der gerade zu dieser Zeit in beiden Händen einen großen Korb mit Semmeln die letzten Stufen zum dritten Stockwerk erstieg. Er war es auch der beim ersten Verhör behauptete den Ausruf der F. M. wortgetreu im Gedächtnis behalten zu haben. Später jedoch, als er F. M. gegenübergestellt wurde, nahm er diese Aussage zurück und erklärte er könne sich doch getäuscht haben, da er im ersten Augenblick allzusehr über die Erscheinung der Frau erschrocken sei. Das war allerdings sehr wahrscheinlich, denn noch nach Wochen war er, wenn er den Vorfall darstellte, so erregt, daß er seine Erzählung mit übertriebenen Bewegungen der Hände und Füße begleitete, um beim Zuhörer wenigstens einen Eindruck zu erzeugen, der annähernd an jenen heranreichte, den er in sich bewahrte. Nach seiner Erzählung war F. M. aus der Tür, deren Öffnen er gar nicht bemerkt hatte und von der er daher glaubte daß sie schon vorher offen gewesen war mit einem Schrei herausgeflogen hatte ihre über dem Kopf ineinandergekrampften Hände auseinandergerissen und war zum Geländer geeilt. Sie war mit nichts anderem bekleidet gewesen als mit dem Nachthemd und einem kleinen grauen Tuch, das aber nicht einmal ihren Oberkörper vollständig verhüllte. Ihr Haar war aufgelöst und hieng ihr zum Teil über das Gesicht herab, was auch dazu beitrug ihren Ausruf undeutlich zu machen. Kaum erblickte sie den Bäckerjungen, als sie zur Treppe lief, ihn mit zitternden Händen zu sich emporzog, hinter ihn trat und ihn als eine Art Schutz vor sich herschob, während sie seine Schultern umklammert hielt. In der Eile dachte der Junge nicht daran, daß er den Korb mit Semmeln irgendwo hinstellen könne und ließ ihn die ganze Zeit über nicht aus den Händen. So giengen sie - die Frau preßte in steigender Angst den Jungen immer fester an sich - mit schnellen aber ganz kurzen Schritten der Wohnungstüre zu, überschritten die Schwelle und rückten im dunklen schmalen Vorzimmer vor. Immer war das Gesicht der Frau rechts oder links vom Jungen vorgebeugt, sie schien auf etwas zu lauern, das sich gleich zeigen müsse, manchmal riß sie den Jungen zurück, als wäre es unmöglich weiter vorzugehn, dann aber drückte sie ihn doch wieder mit ganzem Körper vorwärts. Die erste Zimmertür, die auf ihrem Wege lag, öffnete die Frau mit einer Hand, mit der andern hielt sie sich hinten am Halse des Jungen fest. Sie überblickte den Boden die Wände und die Zimmerdecke, fand nichts, ließ die Tür offen und gieng nun entschlossener immer noch mit dem Jungen zur nächsten Tür. Diese stand schon weit offen. Beim Eintritt sah man nicht viel mehr als zwei nebeneinanderstehende Betten. Das Zimmer war dunkel, denn die schweren ganz zusammengeschlossenen Fenstervorhänge ließen nur in schmalen Lücken einen Schimmer Tageslicht herein. Auf dem Nachttischchen, bei dem der
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