Tagebücher
könnte man sich denn vorbereiten, ehe man die Aufgabe kennt d. h. kann man überhaupt eine natürliche, eine nicht nur künstlich zusammengestellte Aufgabe bestehn? Deshalb ist er auch schon längst unter den Rädern, merkwürdiger aber auch tröstlicher Weise war er darauf am wenigsten vorbereitet.
Er hat den Archimedischen Punkt gefunden, hat ihn aber gegen sich ausgenützt, offenbar hat er ihn nur unter dieser Bedingung finden dürfen
13 (Januar 1920)
Alles was er tut, kommt ihm zwar außerordentlich neu vor, aber auch entsprechend dieser unmöglichen Fülle des Neuen außerordentlich dilettantisch, kaum einmal erträglich, unfähig historisch zu werden, die Kette der Geschlechter sprengend, die bisher immer wenigstens zu ahnende Musik der Welt zum erstenmal bis in alle Tiefen hinunter abbrechend. Manchmal hat er in seinem Hochmut mehr Angst um die Welt als um sich.
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Mit einem Gefängnis hätte er sich abgefunden. Als Gefangener enden - das wäre eines Lebens Ziel.
Aber es war ein Gitterkäfig. Gleichgültig, herrisch, wie bei sich zuhause strömte durch das Gitter aus und ein der Lärm der Welt, der Gefangene war eigentlich frei, er konnte an allem teilnehmen, nichts entgieng ihm draußen, selbst verlassen hätte er den Käfig können, die Gitterstangen standen ja meterweit auseinander, nicht einmal gefangen war er.
Er hat das Gefühl, daß er sich dadurch daß er lebt den Weg verstellt. Aus dieser Behinderung nimmt er dann wieder den Beweis dafür, daß er lebt.
14. (Januar 1920) Sich kennt er, den andern glaubt er, dieser Widerspruch zersägt ihm alles.
Er ist weder kühn, noch leichtsinnig. Aber auch ängstlich ist er nicht. Ein freies Leben würde ihn nicht ängstigen. Nun hat sich ein solches Leben für ihn nicht ergeben, aber auch das macht ihm keine Sorgen; wie er sich überhaupt um sich selbst keine Sorgen macht. Es gibt aber einen ihm gänzlich unbekannten jemand, der sich um ihn nur um ihn große fortwährende Sorgen macht. Diese ihn betreffenden Sorgen des Jemand, besonders das Fortwährende dieser Sorgen verursachen ihm manchmal in stiller Stunde quälende Kopfschmerzen.
Er lebt in der Zerstreuung. Seine Elemente, eine frei lebende Horde, umschweifen die Welt. Und nur weil auch sein Zimmer zur Welt gehört sieht er sie manchmal in der Ferne. Wie soll er für sie die Verantwortung tragen? Heißt das noch Verantwortung?
Alles; selbst das Gewöhnlichste, etwa das Bedientwerden in einem Restaurant muß er sich erst mit Hilfe der Polizei erzwingen. Das nimmt dem Leben alle Behaglichkeit.
17 I (1920) Sein eigener Stirnknochen verlegt ihm den Weg (an seiner eigenen Stirn schlägt er sich die Stirn blutig)
Er fühlt sich auf dieser Erde gefangen, ihm ist eng, die Trauer, die Schwäche, die Krankheiten, die Wahnvorstellungen der Gefangenen brechen bei ihm aus, kein Trost kann ihn trösten, weil es eben nur Trost ist, zarter kopfschmerzender Trost gegenüber der groben Tatsache des Gefangenseins.
Fragt man ihn aber, was er eigentlich haben will, kann er nicht antworten denn er hat - das ist einer seiner stärksten Beweise - keine Vorstellung von Freiheit.
Manche leugnen den Jammer durch Hinweis auf die Sonne, er leugnet die Sonne durch Hinweis auf den Jammer.
Er hat zwei Gegner, der Erste bedrängt ihn von rückwärts vom Ursprung her, der Zweite verwehrt ihm den Weg nach vorne. Er kämpft mit beiden. Eigentlich unterstützt ihn der Erste im Kampf mit dem Zweiten, denn er will ihn nach vorne drängen und ebenso unterstützt ihn der Zweite im Kampf mit dem Ersten, denn er treibt ihn doch zurück. So ist es aber nur teoretisch, denn es sind ja nicht nur die 2 Gegner da, sondern auch noch er selbst und wer kennt eigentlich seine Absichten?
Er hat viele Richter, sie sind wie ein Heer von Vögeln, das in einem Baum sitzt. Ihre Stimmen gehen durcheinander, die Rangs- und Zuständigkeitsfragen sind nicht zu entwirren, auch werden die Plätze fortwährend gewechselt. Einzelne erkennt man aber doch wieder heraus Dreierlei:
Die selbstquälerische schwerfällige oft lange stockende aber im Grunde doch unaufhörliche Wellenbewegung alles Lebens, des fremden und eigenen, quält ihn, weil sie unaufhörlichen Zwang 272
des Denkens mit sich bringt. Manchmal scheint ihm, daß diese Qual den Ereignissen vorhergeht.
Als er hört, daß seinem Freund ein Kind geboren werden soll, erkennt er, daß er dafür schon früher als Denker gelitten hat.
Er sieht zweierlei: Das Erste ist die ruhige,
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