Tagebücher
auf jenes Maß zurückgehn, das vielleicht den Gebildeten nötig ist. Das Interesse an meinem Beruf oder an der Fabrik oder an dem, was mir gerade in die Hände kommt, wird in selbstverständlicher ungestörter Größe einsetzen. Zu dauernder Verzweiflung an meiner Zukunft ist daher nicht der geringste mit keiner Ahnung zu berührende Grund, zu zeitweiliger Verzweiflung, die aber auch nicht tiefgeht, ist dann Veranlassung, wenn ich wieder einmal den Magen verdorben zu haben glaube oder wenn ich, weil ich zuviel schreibe, nicht schlafen kann. Lösungsmöglichkeiten gibt es tausende. Die Wahrscheinlichste ist, daß ich mich plötzlich in ein Mädchen verliebe und von ihr nicht mehr werde ablassen können. Dann werde ich sehn, wie gut man es mit mir meint und wie man mich nicht hindern wird. Wenn ich aber Junggeselle werde, wie der Onkel in Madrid, wird es auch kein Unglück sein, weil ich in meiner Gescheitheit mich schon einzurichten wissen werde.
23. XII 11 Sa. Kommt beim Anblick meiner ganzen Lebensweise, die in eine allen Verwandten und Bekannten fremde falsche Richtung führt, die Befürchtung auf und wird sie von meinem Vater ausgesprochen, daß aus mir ein zweiter Onkel Rudolf, also der Narr der neuen nachwachsenden Familie, der für die Bedürfnisse einer andern Zeit etwas abgeänderte Narr werden wird, dann werde ich von jetzt ab fühlen können, wie in der Mutter, deren Widerspruch gegen solche Meinung im Laufe der Jahre immer kleiner wird, alles sich sammelt und stärkt, was für mich und was gegen Onkel Rudolf spricht und wie ein Keil zwischen die Vorstellungen von uns beiden fährt.
Vorgestern in der Fabrik. Abends bei Max, wo der Maler Novak gerade die Litographien von Max ausbreitete. Ich wußte mich ihnen gegenüber nicht zu fassen, nicht ja nicht nein zu sagen. Max brachte einige Ansichten vor, die er sich schon gebildet hatte, worauf sich mein Denken darum herumkugelte ohne Ergebnis. Endlich gewöhnte ich mich an die einzelnen Blätter, legte wenigstens die Überraschung der ungeübten Augen ab, fand ein Kinn rund, ein Gesicht gepreßt, einen Oberkörper panzerhaft, er sah aber eher so aus, als trage er ein riesiges Frackhemd unter dem Straßenanzug. Der Maler brachte dagegen einiges nicht auf den ersten und nicht auf den zweiten Anlauf Verständliches vor und schwächte die Bedeutung dessen nur dadurch, daß er es gerade uns gegenüber sagte, die, wenn seines innerlich erwiesen war, den billigsten Unsinn gesprochen hatten.
Er behauptete, daß es die gefühlte und selbst bewußte Aufgabe des Künstlers wäre, den 95
Porträtierten in seine eigene Kunstform aufzunehmen. Um dies zu erreichen hatte er zuerst eine Porträtskizze in Farben angefertigt, die auch vor uns lag, in dunklen Farben eine tatsächlich zu scharfe trockene Ähnlichkeit aufwies (diese zu große Schärfe kann ich erst jetzt eingestehn) und von Max für das beste Portrait erklärt wurde, da es außer seiner Ähnlichkeit um Augen und Mund edle, gefaßte Züge trug, die durch die dunklen Farben im richtigen Maße gestärkt wurden. Wurde man danach gefragt, konnte man es nicht leugnen. Nach dieser Skizze arbeitete nun der Maler zuhause an seinen Litographien, indem er, Litographie um Litographie verändernd, darnach trachtete, immermehr von der Naturerscheinung sich zu entfernen, dabei aber seine eigene Kunstform nicht nur nicht zu verletzen, sondern Strich für Strich ihr näherzurücken. So verlor z. B.
die Ohrmuschel ihre menschlichen Windungen und den detaillierten Rand und wurde ein vertiefter Halbkreiswirbel um eine kleine dunkle Öffnung. Maxens knochig schon vom Ohr an sich bildendes Kinn verlor seine einfache Begrenzung, so unentbehrlich sie scheint und so wenig für den Beschauer aus der Entfernung der alten Wahrheit eine neue wurde. Das Haar löste sich in sichern, verständlichen Umrissen auf und blieb menschliches Haar, wie es auch der Maler leugnete.
Während der Maler das Verständnis dieser Umwandlungen von uns verlangt hatte, deutete er dann nur noch flüchtig aber mit Stolz an, daß alles auf diesen Blättern Bedeutung hatte und daß selbst das Zufällige durch seine alles Nachträgliche beeinflussende Wirkung ein Notwendiges war. So gieng neben einem Kopf ein schmaler, blasser Kaffeefleck fast das ganze Bild hinab, er war eingefügt, berechnet und nicht mehr wegzunehmen ohne Schaden für alle Proportionen. Auf einem andern Blatt war links in der Ecke ein großer zerstreut punktierter, kaum auffallender blauer
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