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Tagebücher

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Titel: Tagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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kompliciertere Zwecke des erneuten unsichern Aufsuchens jener Personen, mit denen ich mich verabredet hatte, also auch die Möglichkeit langen unsichern Wartens zu erreichen. Schon daraus, daß ich als Kind eine große nervöse Angst vor dem Warten hatte, könnte man schließen, daß ich zu etwas Besserem bestimmt gewesen bin, daß ich aber meine Zukunft geahnt habe.

    Meine guten Zustände haben nicht Zeit und Erlaubnis, sich natürlich auszuleben; meine schlechten dagegen haben mehr davon, als sie verlangen. Nun leide ich an einem solchen Zustand, wie ich nach dem Tagebuch berechnen kann, seit dem 9., fast 10 Tage. Gestern legte ich mich wieder einmal mit feurigem Kopf ins Bett und wollte mich schon freuen, daß die schlechte Zeit vorüber sei, und mich schon fürchten, daß ich schlecht schlafen werde. Es gieng aber vorüber, ich schlief ziemlich gut und wache schlecht.

    19. XII (1911) Gestern "Dawids Geige" von Lateiner. Der verstoßene Bruder, ein künstlerischer Geiger, kommt wie in den Träumen meiner ersten Gymnasialzeit reichgeworden zurück, versucht aber zuerst im Bettlerkleid, die Füße mit Packhadern wie ein Schneeschaufier umbunden, seine niemals aus der Heimat gekommenen Verwandten: Seine ehrliche arme Tochter, den reichen Bruder, der seinen Sohn der armen Base nicht zur Frau geben und trotz seines Alters sich eine junge Frau nehmen will. Erst später enthüllt er sich durch Aufreißen eines Kaiserrockes, unter dem auf einer quergebundenen Schärpe die Orden aller Fürsten Europas hängen. Mit Violinspiel und Gesang macht er alle Verwandten und ihren Anhang zu guten Menschen und bringt ihre Verhältnisse in Ordnung.

    Frau Tschissik spielte wieder. Ihr Leib war gestern schöner als ihr Gesicht, das schmäler schien als sonst, so daß die Stirn, die sich beim ersten Wort in Falten wirft, zu sehr auffiel. Der schön gerundete mittelstarke große Körper gehörte gestern nicht zu ihrem Gesicht und sie erinnerte mich undeutlich an Doppelwesen wie Seejungfrauen, Sirenen, Centauren. Als sie dann vor mir stand mit verzogenem Gesicht, unreinem von der Schminke angegriffenem Teint, einem Fleck auf der dunkelblauen, kurzärmeligen Bluse war es mir wie wenn ich im Kreise unbarmherziger Zuschauer zu einer Statue reden sollte. Frau Klug stand neben ihr und beobachtete mich. Fräulein Weltsch beobachtete mich von links. Ich sagte soviel Dummheiten als möglich war. So ließ ich nicht ab, Frau T. zu fragen, warum sie nach Dresden gefahren war, trotzdem ich wußte, daß sie sich mit den andern zerworfen hatte und deshalb weggefahren war und daß ihr daher dieses Thema peinlich war.
    Schließlich war es mir noch peinlicher nur fiel mir nichts anderes ein. Als Frau Tschisik dazutrat, 94
    während ich mit Frau Klug sprach, sagte ich, indem ich mich Frau T. zuwendete zu Frau Klug
    "Pardon!", wie wenn ich beabsichtigte, vonjetzt an mit Frau T. mein Leben zu verbringen. Wie ich dann mit Frau T. sprach, merkte ich, daß meine Liebe sie eigentlich nicht erfaßt hatte, sendern sie nur bald näher bald weiter umflog. Ruhe kann ihr ja nicht gegeben sein. - Frau Liebgold spielte einen jungen Mann in einem Kleid, das ihren schwangern Leib fest umschloß. Da sie ihrem Vater (Löwy) nicht folgt, drückt er ihren Oberkörper auf einen Sessel nieder und schlägt sie auf den Hintern, über dem sich die Hose äußerst spannt. Löwy sagte dann, er habe sie mit dem gleichen Widerwillen wie eine Maus angerührt. Sie ist aber von vorn gesehen hübsch, nur im Profil fährt ihre Nase zu lang, zu spitz und grausam hinab.

    Ich kam erst um 10 Uhr hin, machte vorher einen Spaziergang und kostete die leichte Nervosität aus, einen Platz im Teater zu haben und während der Vorstellung also während die Solisten mich herbeizusingen versuchen, spazieren zu gehn. Ich versäumte auch Fr. Klug, deren immer lebendigen Gesang anzuhören nichts anderes bedeutet, als die Welt auf ihre Festigkeit zu prüfen, was ich doch nötig habe.

    Heute sprach ich beim Frühstück mit der Mutter zufällig über Kinder und Heirathen, nur ein paar Worte, aber ich bemerkte dabei zum erstenmal deutlich, wie unwahr und kindlich die Vorstellung ist, die sich meine Mutter von mir macht. Sie hält mich für einen gesunden jungen Mann, der ein wenig an der Einbildung leidet, krank zu sein. Diese Einbildung wird mit der Zeit von selbst schwinden, eine Heirat allerdings und Kinderzeugung würde sie am gründlichsten beseitigen. Dann würde auch das Interesse an der Litteratur

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