Tal der Traeume
Tage weit entfernt, wenn man ritt. Mit dem Wagen dauerte die Reise noch länger. »Es ist eher das, was hier fehlt«, sagte sie. »Vororte. Ich möchte gern in einem Vorort leben.« »Unsinn. Du würdest dich nach einer Woche zu Tode langweilen.« »Das glaube ich nicht. Ich fühle mich hier so verloren. Ich weiß auch nicht, warum, aber mein Dasein hier deprimiert mich.« »Du bist hier zu Hause! Was in aller Welt deprimiert dich? Mutter, ich glaube wirklich, du langweilst dich bloß. Wenn wir erst in Darwin sind, fühlst du dich besser. Nach den Sommermonaten in der Stadt freust du dich immer auf zu Hause.« »Mag sein«, antwortete Sibell, um das Thema zu beenden. »Wir werden sehen.« Die Tränen brannten ihr in den Augen, und sie drehte sich schnell zur Seite, um sie zu verbergen, aber es war zu spät. Lucy war blitzschnell bei ihr. »Herrgott, Mutter, was ist? Geht es dir nicht gut? Ist es das?« Sibell wünschte so sehr, sie könnte einfach sagen: »Ja, ich bin krank. Gib mir die Medizin. Morgen früh geht es mir wieder besser.« Das hätte sie den Anfällen von Kummer vorgezogen, die sie immer wieder überfielen, aber sie war nicht krank. Körperlich war sie kerngesund. »Es geht mir ganz gut«, sagte sie. »Wirklich. Ich bin nur ein bisschen müde. Wahrscheinlich bin ich in letzter Zeit einfach erschöpft.« Sie tupfte sich die Augen und zwang ein Lächeln herauf. »Ja, du solltest dich ein wenig hinlegen. Ich will nicht, dass du unglücklich bist, Mutter. Vielleicht ist es auch nur das entsetzliche Wetter, die Hitze ist heute fast unerträglich. Rekordtemperaturen, würde ich sagen. Ein Nickerchen wird dir gut tun.« Sibell nickte. »Ja, das werde ich tun. Danke, Lucy.«
Endlich allein in ihrem Schlafzimmer, hinter verschlossenen Türen, brach sie in Tränen aus. Wie konnte sie irgendjemandem ihr Problem erklären, wenn sie doch selbst nicht wusste, was mit ihr nicht stimmte? Sie schämte sich dafür, dass sie, Sibell Hamilton, die eine liebevolle Familie, ein gutes Zuhause und so vieles besaß, für das sie dankbar sein sollte, so undankbar sein konnte, auch nur davon zu sprechen, dass sie fort wollte. Aber sie wollte fort, sie war fest entschlossen. Diese Anfälle von Kummer verfolgten sie inzwischen seit etwa zwei Jahren und wurden allmählich schlimmer. Wenn die Schwermut sie überkam, war sie keine angenehme Gesellschaft, hatte an nichts Freude und wurde schwierig im Umgang mit jedem, der ihr begegnete. Zack hatte in seiner freundlichen Art versucht, mit ihr darüber zu sprechen, hatte sie gebeten, weniger ungeduldig zu sein, vor allem mit den Arbeitskräften auf der Station. Er wünschte sich so sehr, dass sie ihre gute Laune wieder fand, dass sie über kleinere Schwierigkeiten wieder lachen könnte, nicht alles so schwer nahm. Aber diese Gespräche endeten jedes Mal damit, dass sie vor ihrem ratlosen, aufgebrachten Mann in Tränen ausbrach. Einige Male hatte er versucht herauszufinden, was sie so unglücklich machte, hatte sie gefragt, was er tun oder sagen könnte, um ihr eine Freude zu machen, aber allmählich reagierte auch er gereizt auf das, was er ihre Launen nannte. Sibell wusste, es lag nicht am Wetter. Sie hatte Jahre der Dürre überlebt, ohne so zusammenzubrechen, und sie wusste jetzt schon, die Ferien in Darwin würden keine Lösung bringen. Im letzten Jahr hatte sie gehofft, der Seewind würde ihre Verzweiflung einfach davonwehen, aber es war nicht geschehen, und da begriff sie, dass ihr vor der Rückkehr auf die Station graute. Mittlerweile hatte sie ein Jahr lang Zeit gehabt, über den Grund für ihre furchtbare Schwäche nachzudenken, die ihr so peinlich war: Sie war doch wirklich immer eine starke Frau gewesen. Aber sie fand keine Antwort. Es gab keinen Grund für ihre Schwermut, keinen einzigen, und deshalb gab es nur eine Erklärung: Sie war dabei, den Verstand zu verlieren. Aber sie dachte nicht im Traum daran, das irgendjemandem gegenüber zuzugeben. Niemals würde sie ihnen sagen, dass sie verrückt wurde. Sie würde der Sache ein Ende bereiten, ein Mittel finden, um gesund zu werden, und deshalb musste sie nach Perth. Sibell war sicher, dort würde sie sich besser fühlen, glücklicher, entspannter in der städtischen Umgebung, und inzwischen freute sie sich auf den Umzug, obwohl Zack und nun auch Lucy so sehr dagegen waren. Sie goss Wasser aus dem Krug auf dem Waschtisch in die Schüssel und benetzte Gesicht und Hals, um vorübergehend ein wenig Kühlung zu finden; dann
Weitere Kostenlose Bücher