Tal der Träume
der Pavillon wäre am besten«, sagte Christy, als sie den Weg entlanggingen. »Man sieht nicht viel, aber es ist wenigstens trocken. Und du heiterst ohnehin jeden Regentag auf, wenn ich das sagen darf. Du siehst reizend aus.«
Lucy schöpfte neuen Mut. Das Kleid, das sie trug, war eines von vieren, die ihre Mutter erst gestern aus Perth erhalten hatte. Es bestand aus einem sommerlich leichten weißen Voile und war mit winzigen gelben und grünen Blumen bestickt. Um den Halsausschnitt flatterte eine Rüsche aus weichem, weißem Georgette.
»Willst du mich damit entschädigen?«, hatte sie ihre Mutter wütend gefragt. »Hast ein schlechtes Gewissen, was?«
»Es sind hübsche Kleider. Ich glaube, du kannst sie brauchen. Verschenke sie, wenn du sie nicht magst.«
Sie und Maudie hatten die Kleider aus der großen Schachtel geholt und vors Fenster gehängt, um sie in Ruhe zu betrachten. Zwei herrliche Abendroben und zwei Tageskleider, doch Maudie hatte die Nase gerümpft.
»Sie sind zu frivol für dich, Lucy, ein Mädchen vom Land wie du braucht etwas Bodenständigeres.«
Dies bestärkte Lucy in ihrem Beschluss, sie zu behalten. Maudie wollte im Grunde sagen, dass sie zu feminin für sie seien, und das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. In diesem Fall hatte ihre Mutter Recht gehabt, die Kleider waren wie für sie gemacht. Sie zog sie an, stolzierte vor dem Spiegel auf und ab und wählte das Bestickte für den Nachmittag mit Christy aus. Lucy hatte die richtige Wahl getroffen, denn er hatte sich noch nie derart begeistert über ihre Garderobe geäußert. Sie musste sogar stehen bleiben und sich drehen, damit die satingefasste Rüsche am weiten Rock zur Geltung kam.
»Es ist traumhaft hier«, sagte sie. »Als lebten wir in einer eigenen, vom Nebel umschlossenen Welt.«
»So sollte es auch sein«, sagte Christy lächelnd, als sie einander am Gartentisch gegenübersaßen. »Frohe Weihnachten, Lucy.«
Er hatte keinen Versuch unternommen, sie zu küssen, ihr nicht einmal den üblichen Kuss auf die Wange gegeben. Je länger sie miteinander plauderten, desto nervöser wurde sie. Sicher, die Umgebung war traumhaft, warum also machte er nicht mehr daraus?
Sie trank ihren Champagner so schnell, dass sie eine Entschuldigung für angebracht hielt. »Wirklich köstlich.«
»Ja, der Allerbeste.«
Sie sah zu, wie er nachschenkte, knabberte an einem Keks und suchte nach einem Gesprächsthema, doch Christy ergriff die Initiative.
»Und wie geht es Myles?«
»Gut. Anfang des Jahres fährt er nach Perth, zusammen mit meiner Mutter.«
Nun hatte er ihre Zweisamkeit empfindlich gestört. Lucy hatte nicht die Absicht, mit ihm über Myles zu sprechen, und sie wusste, dass Christy zu höflich war, um die als peinlich empfundene Abreise ihrer Mutter zu diskutieren. Sie schaute in die Ferne, als könne sie durch den silbrigen Regen, dem der Nebel nun gewichen war, die Schiffe im Hafen erkennen.
»Ich freue mich wirklich auf morgen«, platzte sie schließlich heraus. »Es wird bestimmt ein herrlicher Tag.« Dann fiel ihr ein, dass sie ihn noch nicht in den genauen Ablauf eingeweiht hatte. »Die meisten Leute kommen gegen elf, um zwölf gehen wir zu Tisch, aber du kannst auch früher kommen, wenn du möchtest …«
»Morgen?« Er fuhr zusammen. »Meinst du zu eurem Weihnachtsessen?«
»Sicher.«
»Aber Lucy, Liebes, ich wusste nicht, dass ich eingeladen bin.«
»Natürlich, ich habe dich doch eingeladen.«
»Wann denn?«
»Ach … vor einer Ewigkeit.«
»Nein, ich weiß noch, wie du sagtest, dass deine Familie an Weihnachten gerne Freunde einlädt, aber du hast mich nicht eingeladen, Lucy. In den letzten Wochen warst du so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, dass ich ganz in den Hintergrund getreten bin.«
Sie rang die Hände im Schoß. »Bitte, Christy, sei nicht so empfindlich, ich musste Myles doch beistehen. Aber jedenfalls bist du eingeladen, wir erwarten dich.«
»Danke«, erwiderte er steif, »aber ich habe bereits eine anderweitige Verabredung getroffen.«
»Was? Das geht nicht! Ich wollte dich bei mir haben.«
»Morgen klappt es nun mal nicht.«
»Wieso? Wohin gehst du?«
»Wie gesagt, ich habe bereits eine anderweitige Verabredung getroffen.«
»Aber ich habe es für selbstverständlich gehalten, dass du zu uns kommst.«
»Es empfiehlt sich nicht, so etwas als selbstverständlich zu betrachten, Lucy. Ich liebe dich, daher hat mich dein Verhalten in den letzten Wochen ziemlich verletzt. Man könnte
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