Tal der Träume
Zuerst hatte sie geglaubt, sich wieder in ihn zu verlieben, aber im Zuge der Genesung hatte sie es als romantische Verirrung erkannt. Dieser Mann war nicht mehr der Myles, den sie einmal gekannt hatte, und würde es auch nie mehr werden. Das hatte nichts mit dem Verlust des Beines zu tun. Aus Loyalität war sie geblieben, überrascht, dass die Ärzte Recht behielten und er sich nach dem Rückgang des Fiebers rasch erholte. Mit der Wunde gab es keine Komplikationen, der Stumpf heilte gut.
Lucy entdeckte an Myles eine Entschlossenheit, die sie bewunderte. Zur allgemeinen Erleichterung ließ er sich vom Verlust des Beines nicht unterkriegen, er scherzte sogar darüber. Doch allmählich betrachtete er ihre Hilfe als selbstverständlich, erwartete, dass sie ständig für ihn da war. Sie tat ihr Bestes, blieb so lange wie möglich bei ihm und erzürnte Christy dadurch nur noch mehr. Sie war froh, als es um Myles’ Reise nach Perth ging, wo er bessere Möglichkeiten der Rehabilitation genießen würde. Lucy freute sich über diese einfache Lösung.
Doch es kam anders. Bei Myles hieß es auf einmal wieder »uns« und »wir«. Es sei beschlossen worden, dass er nach seiner Genesung nach Millford ziehen und die Station übernehmen sollte, die der Familie seiner verstorbenen Mutter gehört hatte.
»Millford wird dir gefallen«, hatte er gesagt. »Ein herrliches Stück Erde. Aber du kennst es ja selbst.«
Lucy musste lachen. »Und meinen Verlobten bringe ich gleich mit.«
»Welchen Verlobten? Du hast deine Verlobung mit diesem Zinnsoldaten noch gar nicht bekannt gegeben. Lass ihn laufen. Die Herren Oatley und Hamilton sollen endlich ihren Willen bekommen, wir vereinigen ihre Besitzungen, Lucy. Wird ein ganz schönes Familienvermögen.«
Sie musste ihm in aller Ruhe seine Fantasien ausreden und ihn daran erinnern, dass er sie sitzen gelassen hatte. Auch erwähnte sie die Affäre zwischen ihm und Harriet. Doch als sie gehen wollte, geriet Myles in Rage.
»Es ist das Bein, nicht wahr? Du willst keinen Krüppel heiraten!«
»Nein, Myles, ich liebe dich nicht mehr, und du liebst mich auch nicht. Also hör auf, von diesem verdammten Bein zu reden! Du weißt, dass es für mich keinen Unterschied gemacht hätte.«
»Dein Ton gefällt mir nicht.«
»Pech für dich. So bin ich aber. Ich bin deine Freundin und werde es bleiben, wenn du dich anständig benimmst. Und wie feiert ihr Weihnachten?«
Sie sorgte sich noch immer um ihn. Ihre Mutter hatte erklärt, William Oatley habe die Einladung zum Essen abgelehnt, da er eine ruhige Feier mit Harriet plante. Myles’ Vater würde also nicht unter den Gästen sein.
»Hier gibt es eine abstoßende Veranstaltung mit Papphüten und einem Haufen unmusikalischer Wohltäter, die uns etwas vorsingen, aber ich werde mich dagegen zu schützen wissen.«
»Wie?«
»Wie du weißt, habe ich hier viele Freunde. Ich lade morgen Mittag zwei Paare in dieses Domizil ein. Sie bringen flüssige Erfrischungen mit, und Billy Chinn kocht uns etwas Anständiges.«
»O Gott, Myles! Weiß die Oberin davon?«
»Sie wird es früh genug herausfinden. Und wenn schon, sie führt schon den ganzen Morgen Freudentänze auf, weil mein philanthropischer alter Herr einen brandneuen Flügel für diese Einrichtung spendet. Du bist übrigens herzlich willkommen, dann wäre ich nicht das fünfte Rad am Wagen.«
Sie seufzte. »Du weißt, dass ich morgen zu Hause esse. Außerdem bringen die beiden Paare doch sicher jemanden für dich mit.«
»Nancy Forrester«, antwortete Myles, ohne mit der Wimper zu zucken. »Eine gute Wahl, sie will nämlich Krankenschwester werden.«
»Auf Wiedersehen, Myles.«
»Kommst du zum Hafen?«, rief er, als sie zur Tür ging.
Christy war im Büro und sprang ehrlich erfreut auf, als ein Diener Lucy hereinführte.
»Welch eine Überraschung, meine Liebe.«
»Ich wusste nicht, ob du da bist. Die Weihnachtsdekoration in der Halle ist herrlich.«
»Ja, selbst ohne den Residenten und seine Frau müssen wir den Schein wahren. Mit Krippe, Figuren und allem, denn die Leute kommen jedes Jahr mit ihren Kindern her, um es sich anzuschauen. Setz dich. Darf ich dir ein Glas Wein anbieten? Nein, wie wäre es mit Champagner im Garten? Seine Exzellenz hat einen ausgezeichneten Tropfen.«
»Sehr gern!«
Von der Residenz aus genoss man weit und breit den schönsten Blick auf die Bucht, die an diesem Spätnachmittag als Folge der schweren Regenfälle jedoch in Nebel gehüllt war.
»Ich glaube,
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