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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wollen. Der Mensch vor dir ist nicht mehr James Patrik.«
    »Wer ist er sonst?« schrie Leonora auf.
    »Eine menschliche Hülle.«
    »Er ist dennoch mein Vater!«
    Zynaker hielt sie noch immer fest. James Patrik stand wie eine Säule und blickte an ihnen vorbei.
    »Was willst du tun?« fragte Zynaker.
    »Wir nehmen ihn mit. Ich werde ihn in die beste psychiatrische Klinik geben. Seine Persönlichkeit ist nur verschüttet, wir werden sie wieder ausgraben. Und dann ist er wieder wie früher. Ich glaube ganz fest daran. – Vater …«
    James Patrik senkte den Kopf, aber seine Tochter sah er nicht an. Mit klarer Stimme sagte er: »Darf ich Sie bitten, meine Gäste zu sein? Eine Tasse Tee? Ich habe meinen eigenen Tee gezogen, er schmeckt fast so gut wie ein Darjeeling-Hochgewächs. Mögen Sie luftgetrocknetes Schweinefleisch? In kleine Würfel geschnitten? Ich kenne das von Afrika her. Da trocknete man Kudufleisch, kaute es und speichelte es ein, bis es im Mund aufquoll.«
    Das klang alles völlig normal, wenn nicht die Augen gewesen wären, die an ihnen vorbeiblickten. Helle, blaue, glänzende Augen in alles überwuchernden weißen Haaren.
    Er ging eine kleine Strecke den Abhang hinunter bis zu einer Felsenformation, die aufeinandergeschichteten Klötzen glich. Hier hielt er an und zeigte auf den Eingang einer Höhle. Vor dem Höhleneingang standen zwei aus Stämmen gezimmerte Stühle und ein langer, breiter Tisch. An der Wand der Höhle lehnte das Gewehr, eine automatische Waffe mit langem Steckmagazin und einem montierten Zielfernrohr. In einer Ausbuchtung der Wand hing an einem eisernen Dreibein über einem glimmenden Feuer ein großer, emaillierter Kessel. Was die Höhle sonst noch verbarg, war von außen nicht zu sehen.
    »Der Tee ist in wenigen Minuten fertig«, sagte Patrik. »Nur Geduld, Geduld! Wir kennen hier keine Zeit. Wozu auch? Meine Uhr ist vor langer Zeit stehengeblieben. Was kümmern mich die Stunden? Es ist Tag, und es ist Nacht, das ist das Wichtigste. Setzen Sie sich bitte.«
    »Kann … kann ich nicht den Tee kochen, Vater?« fragte Leonora stockend.
    »Aber nein, Lady. Sie sind mein Gast. Wo arbeitet denn ein Gast?«
    »Es ist furchtbar«, flüsterte Leonora und begann wieder zu weinen. »So kann das doch nicht bleiben … Wir müssen doch etwas tun …«
    Patrik verschwand in der Höhle und kam mit einem Tablett zurück. Eine Teekanne stand darauf, sechs Teetassen, eine Schale mit Würfelzucker und eine blecherne Teedose. Auch Löffel waren vorhanden und eine Konfektschale, in der die schwarzbraunen, luftgetrockneten Schweinefleischwürfel lagen.
    »Das ist ja wie in einem englischen Teesalon«, sagte Zynaker in der Hoffnung, eine vage Erinnerung in Patrik wachzurufen. Aber er täuschte sich.
    Patrik nahm den Faden nicht auf, sondern goß aus einem Plastikeimer Wasser in den Kessel, warf ein paar trockene Scheite Holz in die Glut und ließ die Flammen auflodern. Lakta und Samuel drückten sich an die Höhlenwand – auch wenn der ›Geist‹ aussah und sprach wie ein Mensch, hielten die langen weißen Haare und der wilde weiße Bart sie davon ab, Patrik als eine normale Erscheinung zu begreifen. Für Lakta aber waren es die Augen, die sie fürchtete, Augen, die durch sie hindurchdrangen und deren Blick fast körperliche Schmerzen hervorrief.
    Das Wasser im Kessel kochte sehr schnell. Patrik schaufelte vier gehäufte Löffel Tee in die Kanne, goß sie voll Wasser, ließ den Tee kurz ziehen und schenkte dann aus. Der Tee hatte eine goldbraune Farbe und roch sehr würzig. Patrik wies auf den Würfelzucker. »Bedienen Sie sich. Ich nehme immer zwei Würfel je Tasse.«
    »Wo bekommt man hier Würfelzucker, Sir?« fragte Zynaker vorsichtig.
    Patrik wedelte mit der runzeligen Hand. »Ich hatte zwei große Säcke voll.« Er blickte wieder in die Ferne, als suche er dort etwas. Die Erinnerung? »Ich wollte den Wilden Zuckerstückchen zum Lutschen geben. Ich glaubte, das mache sie friedlicher.«
    »Wann war das, Sir?«
    »Weiß ich das? Ich kenne keine Zeit mehr.«
    »Wie sind Sie in dieses Tal gekommen?«
    »Ich war einfach da.«
    »Sie können doch nicht einfach vom Himmel gefallen sein?«
    »Schon möglich, ja. So muß es gewesen sein. Ich fiel vom Himmel.«
    »Erinnere dich, Vater«, sagte Leonora eindringlich und beugte sich zu ihm vor. »Es war vor zehn Jahren. Du bist mit dem Piloten Steward Grant über das südliche Hochland geflogen, um in das unerforschte Gebiet vorzudringen. Du hast genaue

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